In Kenia blüht die Orangen-Opposition

Kenia könnte bei den heutigen Wahlen Präsident Kibaki abwählen, der vor fünf Jahren als Hoffnungsträger an die Macht kam. Vorne liegt sein alter Mitstreiter und neuer Rivale: Raila Odinga und mit ihm die lange marginalisierte Volksgruppe der Luo

AUS KISUMU UND NAIROBI ILONA EVELEENS

„Nun oder nie“, skandiert der Fahrradtaxifahrer. Fußgänger applaudieren dem jungen Mann, gekleidet in ein orangefarbenes T-Shirt mit dem Bild von Raila Odinga. Fahrradtaxis sind nicht wegzudenken aus dem Straßenbild von Kisumu, ein Städtchen am Ufer des Victoriasees im Westen Kenias. Weder Hitze noch tropischer Regen hindern sie an der Arbeit. Aber wenn Präsidentschaftskandidat Odinga sie braucht, lassen sie ihre Arbeit im Stich. „Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Raila Odinga ist ein Halbgott für sie“, meint Stephen Otieno, Leiter eines Jugendzentrums.

Kisumu ist die Hauptstadt der westkenianischen Provinz Nyanza, überwiegend bewohnt vom Volk der Luo, Kenias drittgrößter Ethnie. Bei den Wahlen am heutigen Donnerstag könnten die Luo erstmals an die Macht kommen, unter dem 62-jährigen Odinga. Wahlen in Kenia haben weinig mit Themen zu tun. Macht bedeutet, das Leben der eigenen Volksgruppe zu verbessern.

Der Urnengang am Donnerstag ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der PNU, der „Partei der Nationalen Einheit“ des amtierenden Staatschefs Mwai Kibaki von Kenias größter Volksgruppe der Kikuyu, und dem Oppositionsblock ODM, der „Orangenen Demokratischen Bewegung“ des Luo Raila Odinga. Meinungsumfragen geben Odinga einen beständigen, aber sehr knappen Vorsprung. Seine Anhänger warnen bereits vor Wahlbetrug durch die Regierung.

Odinga kann auf Unterstützung nicht nur von den Luo zählen. Viele Kenianer haben die Nase voll von Präsident Kibaki (76). Seine Wahl 2002 beendete zwar die Herrschaft der zutiefst korrupten KANU (Kenia Afrikanische Nationalunion) von Daniel arap Moi, die das Land seit der Unabhängigkeit regiert hatte, und wurde mit großen Hoffnungen begleitet, aber seitdem hat Kibaki durch seine eigene Passivität gegenüber Korruption enttäuscht. Viele seiner Anhänger werden diesmal Odinga wählen, als Anti-Kibaki-Stimme – so wie sie 2002 Kibaki gewählt hatten, als Anti-Moi-Stimme.

Raila Odinga kommt aus einer bekannten Politikerfamilie. Sein Vater Oginga Odinga war 1963 bis 1966 Kenias erster Vizepräsident. In den 90er-Jahren waren Kibaki und Odinga zwei Führungsfiguren der demokratischen Opposition Kenias gegen Moi – und Rivalen. Bei den Wahlen 2002 waren sie noch verbündet. Aber schon nach einem Jahr zerstritten sie sich.

Tausende von Luo-Jugendlichen haben sich nun Odingas Jugendbrigade angeschlossen. Sie dienen als Leibwächter und Ordner und scheuen keine Gewalt, um Gegner auf andere Gedanken zu bringen. Oft sind es junge Arbeitslose, mit wenig Schulbildung. Sie bilden eine fanatische Armee, die keine Fragen stellt. „Raila Odinga ist eine Art von Messias für sie. Sie sind bereit, für ihn zu sterben“, erzählt ein Mitarbeiter Odingas und warnt: „Wenn wir die Wahlen gewinnen, bekommt Raila Odinga Schutz vom Staat. Dann müssen wir schnell eine Lösung finden für diese Jugendlichen. Die haben dann nichts mehr zu tun und das ist nicht gut.“

Die Luo-Provinz Nyanza ist unterentwickelt. 45 Prozent der Kenianer leben von weniger als einem Euro pro Tag – in Nyanza sind es 61 Prozent. „Kenias Wirtschaft wächst zwar mit sieben Prozent, aber das merkt man nur in Nairobi. Unsere Provinz produziert Zucker und hat eine große Fischerei-Industrie, aber die Straßen sind fürchterlich“, meint Geschäftsmann Joshua Nyamori.

Weit weg in der Hauptstadt Nairobi wird in einem Theater auf Trommeln geschlagen. Schauspieler rennen auf der Bühne hin und her. „Erledige das Lumpenpack!“, schreit einer. Das Publikum schaut gespannt zu. Hier wird das Musical „Lwanda“ gezeigt, ein Stück mit Stammeskonflikten, Korruption, Gewalt und auch jugendlichem Eifer. Der 34-jährige Dramatiker Eric Wainana ist stolz auf sein Werk: „So ein Stück hätte ich unter Moi nie aufführen können. Unter Kibaki ist das möglich geworden.“

2001, als Moi noch regierte, machte Wainana Furore mit dem Lied „Nchi ya kitu kidogo“, einer Satire auf die Korruption. Als Wainana das einmal während eines Auftrittes sang, bei dem auch Moi zuhörte, sprang dessen Vizepräsident auf und zog den Stecker aus der Musikanlage. „Aber das Publikum sang weiter“, erinnert sich der Künstler.

Das Lied passt immer noch, findet Wainana. „Heutzutage kann man sich zwar freier äußern als früher, aber wenn ich wo auftrete, wohin Präsident Kibaki kommt, ruft immer jemand vom Präsidialpalast und bittet mich höflich, aber bestimmt, nicht Nchi ya kitu kidogo zu singen.“ Für diese Wahl hat Wainana eine Ode auf seine ehemalige Luo-Freundin aufgenommen.