Siemens fliegt raus

Norwegens Militär erteilt Siemens wegen Betrugsverdachts keine Aufträge mehr

STOCKHOLM taz ■ Betrügereien und Korruption dürften Siemens in Norwegen – und vor allem die 3.400 Beschäftigten der norwegischen Tochter Siemens Norge – teuer zu stehen kommen. Die Hälfte des bisherigen Umsatzes dort steht auf dem Spiel, wenn sich die Korruptionsvorwürfe gegen die Siemens-Führung gerichtlich bestätigen sollten.

Am 1. Januar dieses Jahres ist in Norwegen nämlich ein Gesetz in Kraft getreten, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an Firmen verbietet, die wegen Wirtschaftskriminalität verurteilt worden sind. Und dazu verspricht, ein Ermittlungsverfahren der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft in Oslo zu führen. Die veranstaltete in der vergangenen Woche bei verschiedenen Adressen Razzien. Gleich mehrere Lieferanten des Militärs stehen unter dem Verdacht, Militärangehörige und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums Reisen, den Besuch von Nachtklubs und Einladungen zu luxuriösen Essen spendiert zu haben. Siemens soll dabei unter anderem Mitarbeiter des Militärs gleich mehrmals zu privaten Golfreisen nach Spanien eingeladen haben. Auch sonst war man offenbar großzügig mit kleinen Geschenken an Personen, die im Beschaffungswesen eine wichtige Rolle spielen.

Ende vergangener Woche zog die Regierung daraus erste Konsequenzen und suspendierte mit Vizeadmiral Jan Reksten den Chef der operativen Abteilung des Militärs vom Dienst. Verteidigungsministerin Anne-Grete Strøm-Erichsen kündigte zudem an, dass ab sofort keinerlei neue Aufträge mehr an Siemens vergeben werden: „Unser Vertrauen zu Siemens ist weg.“

Hintergrund dafür sind kräftig überhöhte Preise, die die frühere IT-Abteilung des Konzerns 2002 für den Auftrag für ein militärisches Kommunikationssystem in Rechnung gestellt hatte. Laut Verteidigungsministerium soll Siemens damals bei einem Gesamtauftragswert von umgerechnet rund 200 Millionen Euro mindestens 7 Millionen zu viel kassiert haben. Mittlerweile wurde gegen Siemens eine Geldbuße in Höhe von umgerechnet 1,1 Millionen Euro verhängt. Die ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber es gilt als unwahrscheinlich, dass der Konzern dagegen gerichtlich vorgeht, er sich mittlerweile in Oslo offiziell für die Betrügereien entschuldigt hat. Auf die Verteidigungsministerin machte das allerdings keinen großen Eindruck. „Auf eine Zusammenarbeit legen wir keinen Wert mehr“, so Strøm-Erichsen.

Roy Lund, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Siemens-Norge, beklagt, dass das Fehlverhalten von Managern nun womöglich tausende Siemens-Beschäftigten den Job kosten könnte. Er befürchtet ähnlich wie Anne Kathrine Slungård, gerade neu ernannte Chefin der norwegischen Tochter, „dramatische Auswirkungen“, wenn die Firma tatsächlich für Aufträge der öffentlichen Hand gesperrt werden sollte.

Nahezu die gesamte bisherige Führungsspitze von Siemens Norwegen hat mittlerweile entweder selbst Konsequenzen gezogen und den Konzern verlassen, oder die Manager sind bis auf weiteres suspendiert worden. REINHARD WOLFF