Keep it real in Braunschweig

Das Tonstudio Löwenhertz ist ein Projekt der Stadt Braunschweig zur Jugendförderung. Jetzt wurde dort eine Rap-Platte aufgenommen. Die jungen Rapper sind geläutert und reimen jetzt nicht mehr von „Nutten auf der Straße“

„Stehen Nutten auf der Straße“, haben Sinan und Olek über ihre Heimatstadt Braunschweig gereimt. Die 15-jährigen angehenden Rapper wollten damit ihre erste CD aufnehmen. Klaus Gelhaar, Producer und Leiter des Braunschweiger Studios Löwenhertz war erschüttert. „Wo sollen die denn stehen?“ Der 51-Jährige arbeitet als Sozialarbeiter für die Stadt Braunschweig.

Das Löwenhertz Studio gehört in Braunschweig zur Jugendförderung. Vom Kirchenchor bis zur Metalband reicht die Palette der dort aufgenommenen Platten.

Gelhaar sagte den beiden Neu-Rappern unverblümt, was er von ihren Texten hielt: „Was `ne Scheiße. Spart euer Geld lieber.“ Braunschweig sei doch nicht Neukölln und Hip Hop lebe von Authentizität. Der 51-Jährige gab den beiden dennoch eine Chance. Er hat bisher wenig Hip-Hop produziert und deswegen stand ihm der Ein-Euro-Jobber Carlos zur Seite. Carlos arbeitet als ABM-Kraft im Tonstudio und ist Rapper.

Gelhaar zeigte den Jungen einen Ausschnitt aus der Maischberger Sendung, in der Alice Schwarzer den Pornorapper King Orgasmus zurechtstutzt. Das vernichtende Urteil der Nachwuchsreimer: „Der ist ja gar nicht so cool.“ Die Idole sollten entzaubert werden, erklärt Gelhaar den Griff in die Medientrickkiste. Der nächste Schritt war die Disziplinierung beim Texteschreiben. Die mittlerweile auf vier Rapper angewachsene Schar lernte dabei auch etwas für die Schule. Die Noten wurden besser, der Hauptschulabschluss rückte wieder in greifbare Nähe und die Persönlichkeit ist gewachsen.

Kein Wunder, dass die Stadt Braunschweig dieses Jahr 250.000 Euro in ihr Vorzeige-Projekt gesteckt hat, um die musikalische Breitenförderung zu steigern.

Vor kurzem wurde die CD offiziell vorgestellt. Mit dem passenden Namen Rapflektion– Reflektieren über Rap – wurden die neun Stücke vergangene Woche bei einer Record-Release-Party im Braunschweiger Jugendzentrum B 58 zum ersten Mal live vorgetragen. Auf der Studio-Internetseite www.loewenhertz.com, die auf die Party verweist, heißt es: „Maximum, Sinan & Olek und Kompakt bringen den Hip Hop zurück zu seinen Wurzeln.“

Nach Sugarhill Gang oder Grandmasta Flash klingt die Platte nicht. Ein wenig holprig kommen die Beats daher und die Samples klingen manchmal als wären sie nicht aufeinander abgestimmt.

Die Rapper haben diese leicht nuschelnde Art, wie die Berliner rappen. Dadurch kann man fehlende Reime kaschieren, das machen die Rapper mit großem Plattenabsatz aber auch. Eine Sache stört: die Texte. Auch wenn Gelhaar ausdrücklich betont, den Jungen nichts in die Feder diktiert zu haben, hört sich diese Rapflektion Platte oberlehrerhaft an. Sinan und Olek werden zu Mahnern, die den Gangsta-Rappern vorhalten, dass sie nicht real genug seien. „Das wahre Herz zählt“, heißt es im Refrain von „Alle Wege“.Loben muss man die Jungen trotzdem. Mit ihren mittlerweile 16 Jahren können sie stolz sein, eine Platte in der Hand zu haben. Auch wenn sie unter Rappern den Ruf als Öko-Rapper weg hätten, wie Gelhaar sagt.

Hoffentlich ergeht es den Jungen nicht so, wie einem anderen Braunschweiger Rapper. MC Rene galt mal als Hoffnung des deutschen Sprechgesangs, bis er sich der Berliner Szene anbiederte– Geldprobleme. Doch Braunschweig bleibt real. 2008 können neue Rapper dank Rapflektion hoffen, die Nuttenstraße zu verlassen. THOMAS EWALD