ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Robert Harris, Liebling der Volontäre

Gleich mehrere Praktikantinnen und Volontäre einer überregional erscheinenden deutschen Tageszeitung kürten kürzlich Robert Harris’ Roman „Angst“ (Heyne, 2011) zu ihrer Lektüre des Jahres. Wenn die Nachwuchskräfte einer eher kulturkonservativen Zeitung einen Bestsellerautor wie Harris favorisieren, lässt das aufhorchen. Jugend forscht.

Harris’ Thriller spielt im Milieu der Hedgefonds. In Genf hat ein Alex Hoffmann das Computerprogramm Vixal4 erfunden. Der Computer scannt in kürzester Zeit alle weltweit verfügbaren, für die Kurse von Aktien relevanten Informationen und gibt entsprechende Kauf- oder Verkaufsempfehlungen.

Stopp. Vixal4 liefert nicht nur Einschätzungen, das Programm führt danach auch gleich selbstständig Handlungen aus. Der Computer ist der Akteur, eine Mensch-Maschine. Die von Hoffmann erschaffene künstliche Intelligenz ersetzt den Menschen. Im Bruchteil von Sekunden verschiebt Vixal4 Milliarden US-Dollar oder Euro, bevor es ein Mensch überhaupt realisieren kann. Das Computerprogramm ist die Avantgarde im finanzwirtschaftlichen Geschehen. Seinem Schöpfer und dessen Auftraggebern beschert es Milliardengewinne, anderen wiederum in Sekundengeschwindigkeit kaum noch zu verhindernde Verluste und Totalabstürze.

Das spielsüchtige Hochrisiko-Computerrechenzentrum ist in einem cleanen Büroraum am Genfersee beheimatet, sein Erschaffer ein vom Cern-Programm enttäuschter Wissenschaftler. Alpenpanorama, die beschaulich gediegene Schweiz, sie geben die perfekt nonchalante Kontrastatmosphäre zum weitgehend anonym stattfindenden Highspeed-Risikogeschäft international und gewissenlos agierender Kapitalbesitzer.

Leute, die es wissen sollten, sagen, damit sei Harris sehr nah am tatsächlichen Geschehen. Und da er auch ansonsten seinen Plot gut anzulegen weiß, scheint dies wirklich die ideale Grusellektüre für angehende aber auch altgediente Redakteure.

Der Autor leitet das Kulturressort der taz Foto: privat