Die Kunst, die Triangel zu spielen

DAVID Seit einem halben Jahr leitet Thomas Kleist einen der kleinsten öffentlich-rechtlichen Sender – den Saarländischen Rundfunk. Er will zugleich Eigenständigkeit bewahren und Grenzen überschreiten

Das Saarland liegt aus deutscher Perspektive ziemlich am Rand, aus europäischer in der Mitte

AUS SAARBRÜCKEN STEFFEN GRIMBERG

Im Raum links soll Kaiser Wilhelm bei seinem Besuch 1892 logiert haben, im Chefzimmer harrt eine alte Ofenplatte ihrer historischen Einordnung, überhaupt atmet alles auf dem Halberg Geschichte. Heute sitzt in dem gleichnamigen Schlösschen, das sich einst ein Großindustrieller auf den Berg über Saarbrücken gebaut hat, der Intendant des Saarländischen Rundfunks (SR). Sogar eine ehemalige römische Kultstätte gibt es auf dem Halberg. Dass die SR-Intendanten hier gelegentlich die Götter anflehen, sie mögen der Unabhängigkeit und Fortexistenz der zweitkleinsten Anstalt in der ARD gnädig sein, muss aber wohl ins Reich der Gerüchte verwiesen werden.

Zumal man beim SR ziemlich souverän in die Zukunft schaut: Das fürs kommende Jahr anstehende Haushaltsloch von 3,3 Millionen Euro kann der SR mit Bordmitteln stopfen. Auch die zunächst ausgebrochene Empörung in Sachen Saar-„Tatort“ hat sich gelegt. Nachdem der Sender bekannt gegeben hatte, für seine Kommissare Kappl (Maximilian Brückner) und Deininger (Gregor Weber) sei nach dem beklemmend-packenden „Verschleppt“ (22. 1. 2012, ARD) Schluss – rauschte es im Blätterwald, vor allem empörte sich die Süddeutsche. Jetzt hat der SR mit dem Ausnahmeschauspieler Devid Striesow und dem jungen Saar-Talent Elisabeth Brück allerdings gerade ein mehr als präsentables Nachfolgeteam vorgestellt. Intendant Thomas Kleist freut sich also über ein „saarländisches Eigengewächs mit großem Potenzial“ – und hat wieder Zeit für die Medienpolitik, die Klage der Verleger gegen die „Tagesschau“-App zum Beispiel.

Allerdings versteht Kleist den Hang der Zeitungen zum Prozess nicht so ganz: „Wenn wir die Sache an die Gerichte abgeben, verlieren wir die Gestaltungshoheit.“ Thomas Kleist schwärmt lieber von „regulierter Koregulierung“. Als ehemaligem Chef der Saarländischen Landesmedienanstalt, die für die Lizenzierung und Beaufsichtigung des privaten Rundfunks zuständig ist, gehen ihm solche Wortgetüme locker über die Lippen. Im Klartext soll also der Gesetzgeber Leitplanken aufstellen, den Rest regeln die Beteiligten dann selbst. Aber eben ohne die Zuhilfenahme von Justitia.

Wobei Kleist kein Hardliner ist: „Im Onlinebereich stehen wir doch alle erst am Anfang, wir sollten also die Kirche im Dorf lassen und die berechtigten Interessen der Gegenseite anerkennen.“ Also kein „Rosenkrieg, der würde doch nur Google nutzen“, sagt Kleist, und wenn man nun sage, die Verleger könnten eben besser Text und die Sender dafür Audio und Video, gehe das Ganze doch schon in die richtige Richtung. Man solle sich lieber austauschen – und „journalistisch Konkurrenten bleiben“.

Dass man da schon eine Einigung hinbekommt, ist für Kleist sicher: „Der Saarländer beherrscht die Harmonie der Widersprüche“, zitiert der Intendant den Schriftsteller Ludwig Harig. Und Saarländer ist Kleist natürlich auch selbst, das hat er sogar seinem großen Vorgänger als Intendant der kleinen Anstalt, dem im Januar verstorbenen Fritz Raff, voraus.

Raff hatte nicht nur die Existenz des vom ARD-Finanzausgleich abhängigen SR langfristig gesichert, sondern war als erster „kleiner Sender“ ARD-Vorsitzender. Kleists Ansprüche halten da locker mit: Der SR soll „zum flotten kleinen Boot“ in der ARD-Flotte werden, sagt er. Und meint: schneller und wendiger als manche der schwerfälligen Großtanker des Senderverbunds. „Gut und schlecht entscheidet sich nicht an groß und klein“, sagt der Intendant, der im April erst im siebten Wahlgang gewählt wurde.

Beruhigt ihn, dass weitere Anstaltsfusionen in der ARD derzeit kein Thema sind? „Gute Kooperationen sind immer mehr wert“, sagt Kleist. So werde der SR künftig mit dem SWR nicht nur beim Fernsehen kooperieren, sondern auch ein gemeinsames Archiv haben. „Gerade bei diesen nachgeordneten Bereichen können und müssen wir in der ARD noch viel mehr kooperieren.“ Schon heute produziert der SR die ARD-Radio-„Hitnacht“ – im Auftrag des WDR. Was vermutlich auch daran liegt, dass der SR das Ganze zu einem günstigeren Preis schafft, als der Auftraggeber im eigenen Haus zahlen müsste. Wie weit kann so ein Prozess gehen? „Wo man ohne Aufgabe der eigenen Identität kooperieren kann, ist Zusammenarbeit Pflicht“, sagt Kleist, und dass er, weil er selbst Solidarität einbringe, die auch vom Rest der ARD erwartet. „Wir spielen im Konzert der ARD vielleicht nur die Triangel, aber wenn die falsch klingt, ist das auch nicht schön.“

Wobei Kleist, der privat eher mal Gitarre spielt, das SR-Instrumentarium gern etwas weiter hörbar machen würde. Und damit ist nicht nur ein zweiter SR-„Tatort“ pro Jahr gemeint, Kleists Ambitionen gehen eher westwärts. Der SR sei schließlich „der französischste der ARD-Sender“, und das nicht nur geografisch, „sondern als Teil der Lebenswirklichkeit hier in der Region, wo Sprachräume durch nationale Grenzen getrennt sind“.

Hier sieht Kleist die große Chance für ein kleines Land, „das von Deutschland aus gesehen zwar eher am Rand, aus europäischer Perspektive aber verdammt in der Mitte liegt“. Er will den kulturellen Sprachraum nutzbar machen, und hadert dabei vor allem mit der Frequenzpolitik, die Sache des Bundes und streng an den nationalen Grenzen orientiert ist. Mit dem Erfolg, dass die SR-Radiosender Richtung Frankreich künstlich gedrosselt sind und umgekehrt, was grenzüberschreitendes Hören schwer macht. „Interregionale Frequenzen“ sind also seine Vision, „das Zusammenwachsen Europas geht nur über Kommunikationsräume“, und da beginne es immer im Kleinen.

Wie beim trimedialen Projekt „Kerstin und Baptiste“, bei dem der SR mit Radio France kooperierte und man sich noch ein bisschen besser kennenlernen konnten. Dazu kommt die persönliche Dimension: „Für meinen Großvater waren Franzosen noch ganz schlimme Menschen, der Erbfeind eben – und umgekehrt.“ Von daher hält es Kleist mit dem von ihm bewunderten Jean Monet. Der Vater der Europäischen Gemeinschaft sagte, man „hätte nicht mit der Wirtschaft und dem Geld, sondern mit der Kultur anfangen sollen“. Zumal die Montanunion auch an der Saar bald Geschichte ist – 2012 macht die letzte Zeche dicht.