Das ist doch alles nicht wahr!

Ein offener Brief an drei Politiker

VON ARNULF RATING

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, sehr geehrter Herr Senator Henkel, sehr geehrter Herr Ex-Senator Braun,

Berlin verstehen – das ist nicht einfach. Zum Beispiel, was den Unterschied zwischen einem Rücktritt und der Bitte um Entlassung betrifft.

Sie, Herr Braun, sind nicht von Ihrem Senatorenamt zurückgetreten. Sie haben um Ihre Entlassung gebeten. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben dem entsprochen. Und Sie, Herr Henkel, sind dem nicht entgegengetreten. Herr Braun hat so laut Senatorengesetz Anspruch auf ein Übergangsgeld von etwa 50.000 Euro. Wäre er zurückgetreten, bestünde der Anspruch nicht. Das ist der Unterschied.

Klar, wir wissen heute, dass von Arbeitnehmern hohe Flexibilität erwartet wird. Das gilt für die Hilfsaltenpflegerin auf 400-Euro-Basis und die alleinerziehende Mutter mit Hartz-IV-Bezügen, die von Freitag auf Montag zur Fortbildung muss, um zu lernen, wie man sich auf Stellen bewirbt, die es gar nicht gibt.

In diesem Umfeld ist es auch für Herrn Braun nicht leicht, nach elf aufregenden Tagen im Amt die Wiedereingliederung in seine Ku’damm-Kanzlei als Anwalt und Notar zu schaffen. Zumal wenn diese Kanzlei in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Die Arbeit dort ist anspruchsvoll, und wir wissen inzwischen, dass da oft bis nach 20 Uhr gearbeitet wird. Pflichtgemäße Aufklärung erfordert hohen Einsatz.

Bloß keine Moral!

Sicher kann da ein Übergangsgeld eine Hilfe sein. Und wir wollen nicht das Kriterium „moralisch“ einführen. Denn dann sind wir schnell bei der Willkür. Das haben Sie, Herr Braun, uns kürzlich gesagt. Aber haben Sie das wirklich nötig? Hat Berlin das nötig? Zumal Sie, Herr Braun, noch Ihr Mandat behalten?

Ich bin fast sicher: Ihnen allen war der Unterschied nicht bewusst. Sie laufen ja nicht mit dem Senatorengesetz unter dem Arm herum. Sonst hätten Sie das nicht mitgemacht. Herr Braun hat ja genau diesen Schritt vom Amt weg getan, um Schaden für Justiz, Verbraucherschutz und den Senat abzuwenden. Da hätten Sie darauf geachtet, dass durch die elf Tage im Amt kein Schaden entsteht, der die Stadtkasse derart belastet.

Also, machen Sie den Berlinern klar, dass das mit dem Übergangsgeld nicht wahr ist. Andernfalls bekäme für mich der CDU-Slogan eine ganz neue Bedeutung für alle Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen: Berlin kann mehr …

Beste Grüße, Ihr Arnulf Rating

Foto: M. Wallmüller