Kinder als Zeugen gegen Sextouristen

Um Beweise gegen einen Pädophilen zu erhalten, der in Südostasien Kinder missbraucht haben soll, lässt das Landgericht Kiel Kinder aus Kambodscha als Zeugen einfliegen. Ermittlungen dieser Art sind schwierig, weil die Opfer fast nie bekannt sind

Die von Sextouristen missbrauchten Kinder leben oft auf der Straße. Touristen würden ihre Notlage schamlos ausnutzen, sagte gestern ein BKA-Beamter vor dem Kieler Landgericht. Kambodscha sei bis vor einem halben Jahr noch sehr nachlässig in der Verfolgung des Kindesmissbrauchs gewesen. Seit die USA aber Wirtschaftssanktionen angedroht hätten, habe sich die Lage drastisch geändert. Derzeit verbüßen drei Deutsche in Kambodscha langjährige Haftstrafen wegen Kindesmissbrauchs. Gegen zwei weitere Deutsche stünden Prozesse in Kambodscha bevor. EE

VON ELKE SPANNER

Das Landgericht Kiel schreibt zurzeit Rechtsgeschichte. Kommende Woche lässt es mehrere Kinder aus Kambodscha einfliegen, damit diese als Zeugen gegen einen mutmaßlichen Sextouristen aussagen können.

Der 48-jährige Matthias O. ist angeklagt, mindestens fünf Jungen sexuell missbraucht zu haben. Da er selbst zu den Vorwürfen schweigt, holt das Gericht diejenigen ins Land, die etwas zu dem Thema zu sagen haben. Die Jungen im Alter von zehn und elf Jahren sollen teils selber von dem Angeklagten missbraucht worden sein, teilweise sollen sie ihn beim Sex mit Kindern beobachtet haben.

Der Mann aus Neumünster ist mehrfach einschlägig vorbestraft. Im Sommer 2006 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Ein Vollzugsbeamter hat dem Gericht berichtet, dass Matthias O. schon vor seiner Entlassung angekündigt habe, nach Südostasien zu reisen und sich Sex mit Kindern zu kaufen. Der Beamte meldete das der Polizei. Als erstem Bundesbürger wurde Matthias O. daraufhin vorsorglich der deutsche Reisepass entzogen. Dennoch gelang es ihm Anfang des Jahres, nach Kambodscha einzureisen – mit einem gefälschten dänischen Pass. An der Grenze zu Thailand war er noch abgewiesen worden.

Der Anklage zufolge war Matthias O. mit dem Motorrad in der Hafenstadt Sihanoukville unterwegs, um mögliche Opfer aufzuspüren. 20 Cent soll er den Kindern dafür gezahlt haben, dass sie ihn befriedigten. Neben schwerem sexuellen Missbrauch wirft die Staatsanwaltschaft ihm auch versuchte gefährliche Körperverletzung vor: Der 48-Jährige ist mit Aids infiziert und soll die Ansteckung der Kinder in Kauf genommen haben.

Ungewöhnlich an diesem Fall ist nicht nur, dass die Opfer des Pädophilen zur Aussage nach Deutschland geholt werden. Ungewöhnlich ist auch, dass ihre Identität überhaupt bekannt ist. Die meisten Ermittlungen scheitern daran, dass es zwar einen Verdacht gegen einen Sextouristen gibt, das von ihm missbrauchte Kind aber unbekannt bleibt. Zum großen Teil sind die Opfer Straßenkinder, die anonym in einer Stadt leben und sich mit Bettelei und Prostitution über Wasser halten.

Dass jener Mann aus Neumünster überführt werden konnte, ist dem Engagement der Kinderschutzorganisation „Action pour les Enfants“ zu verdanken. Die französischen Kinderrechtler unterhalten ein Büro in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, wo sie „wie Privatdetektive ermitteln“, wie es gestern ein Beamter des Bundeskriminalamtes vor Gericht beschrieb. Sie haben Kontakte zu Straßenkindern, über die sie auf den deutschen Sextouristen aufmerksam wurden. „Action pour les Enfants“ informierte die Behörden über ihre Hinweise. Die nahmen den 48-Jährigen fest. Im Februar wurde er nach Deutschland ausgeliefert. Seither sitzt er in Untersuchungshaft.

Erst seit 1993 können deutsche Sextouristen vor Gericht gestellt werden. Vorher mussten nach hiesigem Strafrecht sowohl der Täter als auch das Kind Deutsche sein. Mittlerweile ist die Nationalität des im Ausland missbrauchten Kindes strafrechtlich ohne Belang. Doch zu Prozessen kommt es nur vereinzelt. Der diplomatische Weg, auf dem ein Verfahren betrieben werden muss, ist kompliziert, alleine in Deutschland müssen die Akten sechs Stationen durchlaufen. Außerdem sind die Namen der Opfer selten bekannt. In den Fällen, in denen es bislang zu einer Anklage gekommen ist, waren es meist die Täter selbst, die die Beweise gegen sich geliefert haben: Die Ermittler sind ihnen dadurch auf die Spur gekommen, dass sie Videos von ihren Vergewaltigungen aufgenommen und im Internet auf kinderpornografischen Seiten aktiv waren.

In Hamburg wurde 2000 beispielsweise ein Sextourist zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, der im Ausland in mindestens 38 Fällen Jungen missbraucht hatte. Er hatte die Vergewaltigungen gefilmt und die Videos verkauft – eines Tages auch an einen verdeckten Ermittler der Polizei.

Drei der insgesamt sieben Kinder, die gegen Matthias O. aussagen sollen, treffen kommende Woche in Kiel ein, drei bis vier weitere im Januar. Vor dem Landgericht werden sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit angehört. Schließlich, erklärt Gerichtssprecherin Susanne Bracker, „sollen sie nicht noch weiter traumatisiert werden“.