Airbus-Erweiterung ohne Boden

Hamburger Senat bereitet sich auf Scheitern der Ausgleichsmaßnahmen für die Flugzeugfabrik in einem europäischem Naturschutzgebiet vor. Städtische Gesellschaft untersucht Plan für Ersatzfläche – der in anderem Rahmen bereits gescheitert ist

VON GERNOT KNÖDLER

Das Airbus-Werk im Mühlenberger Loch ist auf Sand gebaut – nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne. Eine der Voraussetzungen dafür, dass die Fabrik in das europäische Naturschutzgebiet hinein erweitert werden durfte, war die Schaffung eines Ausgleichs in der Haseldorfer Marsch. Dieser liegt seit 2002 auf Eis und wird im Berufungsverfahren vom Oberverwaltungsgericht in Schleswig geprüft. Gleichwohl schaut sich der Hamburger Senat bereits nach Alternativen um: Die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) prüft, ob statt der Haseldorfer Marsch nicht die Borghorster Elbwiesen und die Besenhorster Sandberge der Tide der Elbe geöffnet werden könnten.

Dass der Senat diese Alternative untersuchen lässt, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Werkserweiterung rechtswidrig war. Die Europäische Kommission hätte für den Fabrikbau in einem Areal des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 keine Ausnahmegenehmigung erteilen dürfen. Sie verließ sich zu unrecht darauf, dass der Senat mit der Haseldorfer Marsch einen gerichtsfesten Vorschlag gemacht hätte.

Der Umweltverband BUND bezweifelt, dass ein Ausgleich in der Borghorster Elblandschaft den in der Haseldorfer Marsch ersetzen könnte. Schon die bisherige Verzögerung des Ausgleichs verletzt EU-Recht, nachdem Beeinträchtigungen von Schutzgebieten bald, möglichst schon vor Baubeginn, ausgeglichen werden sollen. „Jetzt haben wir eine eklatante Lücke“, bringt es der Anwalt Rüdiger Nebelsieck auf den Punkt.

Die Borghorster Elbwiesen und die Besenhorster Sandberge sind zwei benachbarte Naturschutzgebiete in Hamburg und Schleswig-Holstein. 2002 hatten die beiden Landesregierungen ein Projekt vorgestellt, das aus dem „Life“-Programm der EU gefördert worden ist. Dazu sollte ein Leitdamm auf 80 Meter Länge eingerissen werden, um das Areal wie früher der Elbe auszusetzen. Der Schutzdeich weiter im Binnenland wäre erhalten geblieben.

Damit wäre ein ganz besonderer Lebensraum wiederhergestellt worden, denn Areale, die bei Ebbe und Flut mit Süßwasser überspült werden, sind rar. Hier gedeiht eine Art, die einzig und allein an der Unterelbe vorkommt: der Schierlings-Wasserfenchel. Die flache Elbbucht Mühlenberger Loch, die teilweise zugeschüttet wurde, bietet einen ähnlichen Lebensraum.

Doch das „Life“-Projekt ist nach Angaben der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde gescheitert. Zwar wurden mehrere Millionen Euro ausgegeben. Aber das Projekt verlor sich im Hin- und Her der Einwände und Gutachten, ohne dass sich binnen fünf Jahren etwas getan hätte.

„Das ist daran gestorben, dass die Behörden schlampig gearbeitet haben“, sagt Jean-Jacques Ripoche von der Bürgerinitiative Escheburg-Vossmoor. Die Initiative und die Nachbargemeinden Escheburg und Geesthacht sorgen sich vor allem, dass das Gebiet hinterm Schutzdeich nach einer Öffnung des Vorlandes absaufen könnte. In einem internen Schreiben wies das Rechtsamt der Umweltbehörde im Spätsommer 2006 darauf hin, dass in den Antragsunterlagen „diverse entscheidungserhebliche Fragen nicht geklärt sind“. Diese im Rahmen der Ausführungsplanung zu klären, sei „rechtlich nicht möglich“.

Dass die Borghorster Wiesen jetzt als Alternativ-Ausgleichsfläche geprüft werden, ist der Not geschuldet. Außer der Haseldorfer Binnenelbe gebe es zwischen Brunsbüttel und Lauenburg im Süßwasserbereich kein Gebiet mehr, das der Tide ausgesetzt werden könnte, heißt es im Kieler Umweltministerium. „Das ist jetzt alternativlos“, sagt dessen Sprecher Christian Seyfert.

Hartmut Wegener, der Geschäftsführer der Rege, bestreitet, dass die Borhorster Elblandschaft als alternative Ausgleichsfläche vorgesehen sei. Das Projekt werde lediglich geprüft, um „eine zusätzliche Kompensation für den Zeitverzug“ zu schaffen, der beim Rechtsstreit um die Öffnung der Haseldorfer Binnenelbe entstanden sei. Nach wie vor halte Hamburg an dem Projekt in der Haseldorfer Marsch fest.

Ein Brief der EU-Kommission an den BUND vermittelt einen anderen Eindruck: Am 13. September habe man bei einem Treffen mit den deutschen Behörden alternative Ausgleichsmaßnahmen besprochen. „Die deutschen Behörden haben den Dienststellen der Kommission glaubwürdig dargelegt, dass alternative Ausgleichsmaßnahmen für die Haseldorfer Marsch im Grunde nur in den Borghorster Elbwiesen durchgeführt werden können“, heißt es weiter.

Während die Kommission die Ansicht äußert, die Borghorster Elbwiesen taugten als Ersatzausgleich, vermutet der BUND, dass sich hier ähnliche Probleme wie mit der Haseldorfer Marsch ergäben. Hier wie dort würde ein Eingriff durch eine „Aufwertung“ eines bereits bestehenden Schutzgebiets ausgeglichen. Sollte das Schule machen, würde das Schutzgebietsnetz Natura 2000 immer weiter schrumpfen.