Keine Ermittlungen gegen Zivilpolizisten

Weil alles friedlich blieb, ermittelte die Rostocker Staatsanwaltschaft gar nicht erst gegen einen Bremer Zivilpolizisten, der beim G 8-Gipfel Demonstranten zum Steinewerfen angestachelt haben soll. Dieser ist wegen des Einsatzes wohl nun dienstunfähig

Am 6. Juni hatten Demonstranten bei Heiligendamm vier als Autonome verkleidete Polizisten aus Bremen erkannt. Diese hatten sich unter die rund 3.000 Menschen gemischt, die das Ost-Tor des G 8-Gipfels blockierten. Eine Gruppe tschechischer Autonomer sagte, einer von ihnen habe sie aufgefordert, die Polizisten am Zaun mit Steinen anzugreifen. Kurz darauf wurde er von Demonstrationsteilnehmern aus Bremen zur Rede gestellt und enttarnt. Nachdem er sich weigerte, seine Identität preiszugeben, kam es zu Handgreiflichkeiten. Kurz darauf wurde er am Rand der Demonstration der Polizei übergeben. Ein Sprecher der Einsatzleitung stritt zunächst ab, dass es sich um einen Zivilpolizisten gehandelt habe und sagte, so etwas sei „in einem Rechtsstaat inakzeptabel und unverhältnismäßig“. Kurz darauf musste die Polizei einräumen, dass der Betreffende ein „zur Abwehr erheblicher Gefahren“ eingesetzter Zivilpolizist war. CJA

VON CHRISTIAN JAKOB

Die Vorwürfe gegen einen Bremer Zivilpolizisten, während des G 8-Gipfels in Heiligendamm Demonstranten zum Steinewerfen aufgefordert zu haben, sind nicht aufgeklärt worden, weil die Demonstration friedlich blieb. Das sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Rostock, Peter Lückemann.

„Weil aus den Reihen der Demonstrierenden tatsächlich keine Steine geworfen wurden, käme hier höchstens der Tatbestand der versuchten Anstiftung zum Landfriedensbruch in Betracht“, sagte Lückemann. Doch weil es sich bei Landfriedensbruch – auch in einem schweren Fall – nur um ein Vergehen, nicht aber um ein Verbrechen handele, sei von Amts wegen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Lückemann: „Nach den Presseberichten haben wir Zeugen aufgerufen sich zu melden. Es handelt sich hier um ein Anzeigedelikt, dem nur nachgegangen wird, wenn eine entsprechende Anzeige vorliegt. Das war aber nicht der Fall.“ Wären Steine geflogen, dann hätte möglicherweise erfolgreiche Anstiftung zum Landfriedensbruch vorgelegen – ein vom Amts wegen zu verfolgendes Offizialdelikt. Lückemann stellte das Verfahren nur drei Wochen nach dem Gipfel ein.

„Formaljuristisch sauber aus der Affäre gezogen“ nennt das der Bremer Strafrechtsprofessor Felix Herzog. Zwingend sei dieses Vorgehen jedoch nicht: „Man hätte das sicherlich offensiver angegangen, wenn der Anstifter kein Polizist, sondern jemand aus der autonomen Szene gewesen wäre.“

Einer der Demonstranten, die die Zivilpolizisten erkannt hatten, sieht das genau so: „Das die Staatsanwaltschaft das einfach so wieder eingestellt hat, ist eine Sauerei. Wir hatten Angst, Anzeige gegen die Polizei zu erstatten. Hinterher hat man Riesenärger.“

Offiziell behauptete man in Bremen, die Einstellung der Ermittlungen zum Anlass genommen zu haben, die entsprechende Akte zu schließen: „Disziplinarverfahren wurden durch die Polizei Bremen nicht eingeleitet, weil das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Rostock keine Vorwürfe gegen bestimmte Beamte ergeben haben,“ so der Senat auf eine Anfrage der Linksfraktion in der bremischen Bürgerschaft. Dies behauptet auch Polizeisprecher Dirk Siemering: „Bei den vier Beamten handelt es sich um Opfer, gegen sie wurde deshalb kein Disziplinarverfahren eröffnet.“

Nach Informationen der taz trifft dies nicht zu. Einem hochrangigen Beamten zufolge waren die Vorfälle in Heiligendamm sehr wohl Gegenstand eines disziplinarischen Verfahrens. Und auch in einem anderem Punkt hat die Polizei möglicherweise die Unwahrheit gesagt: „Der Beamte war lediglich kurzfristig krank geschrieben und konnte unmittelbar nach dem Einsatz wieder in seine alte Einheit zurück kehren.“ Dabei habe es sich nur um eine kurze Behandlung von Verletzungen gehandelt, die er bei dem Einsatz davon getragen habe.

Insider erzählen die Geschichte ganz anders: Dem noch jungen Zivilpolizisten habe die Sache derart zugesetzt, dass er wegen psychologischer Probleme dauerhaft dienstunfähig sei. Gestützt wird diese Version von der Auskunft des rechtspolitischen Sprechers der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Bremen, Wilhelm Hinners. „Ich kann zwar nicht ausschließen, dass er in der Zwischenzeit wieder gesund ist, aber er war auf jeden Fall über lange Zeit krank geschrieben.“ Hinners, pensionierter Polizist, sagte, der Beamte sei von den Demonstranten nach seiner Enttarnung angegriffen worden, was „eine starke psychische Belastung, die offensichtlich nachhaltige Wirkung auf ihn gehabt hat,“ sei. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Horst Göbel. „Wenn man plötzlich umringt und angegriffen wird, das ist ein hoher psychologischen Druck, den jeder erst einmal verarbeiten muss.“ Er habe aber, so Göbel, „jetzt nicht den neuesten Kenntnisstand, weil der Beamte in Ruhe gelassen werden wollte.“

Dass die Polizei die Dienstunfähigkeit des Zivilbeamten abstreitet, könnte mit den Umständen der Enttarnung zusammenhängen. Offenbar war der Zivilbeamte per Funk mit Polizisten am Rande der Blockade verbunden, so dass unmittelbar nach der Enttarnung die Möglichkeit bestanden hätte, ihn zu befreien. Doch damit hätte die Einsatzleitung zugeben müssen, Zivilbeamte eingesetzt zu haben – was sie zu diesem Zeitpunkt unbedingt vermeiden wollte (siehe Kasten). Gleichwohl wäre ein einsatztaktisch motivierter Verzicht auf die Rettung des Polizisten, ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht. Hierzu sagt die Bremer Polizei lieber nichts: „Die Frage nach dem Funkkontakt ist ein polizeitaktisches Thema. Dazu nehmen wir nicht Stellung.“