LESERINNENBRIEFE
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Drei spontane Fragen

■ betr.: „Kaufen ist billiger als stehlen“, taz vom 30. 11. 11

1. Ist eine Gewaltdefinition seriös, die „aus dem Wörterbuch“ stammt und ausschließlich physische Gewalt in Betracht zieht, wenn vermutlich die meisten Wörterbücher physische und psychische Gewalt sowie verschiedene Formen von Zwang in die Definition aufnehmen? Und ist er dann nicht heuchlerisch, wenn er erst strukturelle Gewalt als Folge verwirrter Soziologen abtut, also aus der Definition ausschließt, und darauf aufbauend alle „Ideologien“, die die Zunahme von Gewalt eben unter solchen umfassenderen Aspekten kritisieren, diffamiert? Wenn er Gewalt ausschließlich physisch definiert, dann sollten sich seine anschließenden Thesen auch darauf beschränken!

2. Wenn Pinker zur Illustrierung der Abnahme von Gewalt die Kriegstoten von Zweitem Weltkrieg und Vietnam heranzieht und mit heute vergleicht, muss man dann nicht fragen, ob solche Ereignisse, die sich menschheitsgeschichtlich „gerade eben“ ereignet haben, nicht doch vielmehr für eine Zunahme von Gewalt im langfristigen Trend sprechen?

3. Die fast schon unwirklich anmutende Behauptung, „uns“ gehe es viel besser, sollte definitiv regional und sozial differenzierter betrachtet werden. Sieben Morde auf 100.000 Menschen im Jahr weltweit, verglichen mit 30 zu früheren Zeiten sind doch eine äußerst schwammige Basis für derlei Schlussfolgerungen!

CLAUDIUS MAIER,

Villingen-Schwennigen

Übler Scherz

■ betr.: „Die Geldmaschine“, taz vom 28. 11. 11

So sehr ich nahezu alle Goettle-Artikel schätze: Da ist sie aber einem gewaltigen Hoax aufgesessen. Diese Diebner Atombombe 1945 ist einer der übelsten Scherze dabei. Wäre das so einfach, hätte nicht nur Iran, die halbe Welt hätte Atomwaffen. Dass ein Atomreaktor eben nicht wie eine Atombombe explodieren kann, ist so trivial, dass ich mich frage, ob der gute Mann etwas senil ist. Letztendlich haben wir doch alle den Rest von dem glühenden Reaktorkern von Tschernobyl gesehen. Woher sollte denn dieses glühende Monster gekommen sein, wenn alles atomar in die Luft geflogen war. Vieles andere ist natürlich richtig und wichtig. KLAUS SCHÜLER, Bonn

Selbst übertroffen

■ betr.: „Die Geldmaschine“, taz vom 28. 11. 11

Gabriele Goettle hat sich mal wieder selbst übertroffen. Mit traumwandlerischem Gespür für die Zeichen der Zeit und für den richtigen Zeitpunkt hat sie einer Ost-Ikone der Atomkraftkritik in ihrer Reihe „Experten“ ein Forum verschafft. Danke Frau Goettle, danke taz! Sebastian Pflugbeil, ein großer Kämpfer vor dem Herrn im Stillen, kam endlich wieder mal in Deutschland zu Wort. Im Falle Fukushima legte zwar das Schweizer Fernsehen großen Wert auf seine Expertise und interviewte ihn gleich mehrfach; hier wurde seine frühe und sehr präzise Vorhersage des Super-GAUs unter dem Deckel gehalten. Cui bono?! REINHOLD TOMCZAK, Michaelsdorf

Mit dem Segen der Kirche

■ betr.: „Die Kaffeesatzleserin“, taz vom 1. 12. 11

Zwangsehen wurzeln nicht im Islam, sondern tiefer; daher gab es sie auch massenhaft im christlichen Kulturkreis. Häufig traf es schon Kleinkinder. Bekannt geblieben sind lediglich solche adeliger Abkunft.

Elisabeth von Ungarn/Thüringen (1207 bis 1231) wurde einige Stunden nach ihrer Geburt mit dem Landgrafen von Thüringen verlobt, mit vier Jahren in seine Familie verbracht und mit 14 verheiratet. Margarethe Maultasch (1318 bis 1369) wurde mit zwölf Jahren mit Johann von Luxemburg verheiratet.

Arrangierte Ehen kamen auch in Deutschland (nicht nur in Italien oder Ungarn) zumindest im ländlichen Raum und immer mit dem Segen der Kirche bis ins 20. Jahrhundert vor. ERNST T. MADER,

Budapest/Ungarn

Organspende wirklich wünschenswert?

■ betr.: „Die Ärzte arbeiten korrekt“ u. a., taz vom 30. 11. 11

Interessant, wie hartnäckig die taz dem allgemeinen Organspendecredo von Medien, Medizin und Eurotransplant folgt. Nun weist der Artikel darauf hin, dass Menschen umso weniger zur Organspende bereit sind, je genauer sie sich mit dem Phänomen der Explantation und der Fragwürdigkeit der Hirntoddefinition beschäftigen. Kritisches zum Thema habe ich in der taz bisher nur in einem Artikel von Gabriele Goettle gelesen ( „Guter Schnitt“, taz vom 26. 9. 11), der dann wenige Tage später durch ein Interview mit einem Transplantationsspezialisten („Das ist nicht Hokuspokus“, taz vom 4. 10. 11) wieder richtiggestellt werden musste. Wäre schön, wenn die taz mal über ihren Schatten springen und fragen würde, ob die „Bereitschaft zur Organspende“ wirklich „sehr wünschenswert!“ sein muss.

FLORIAN NELLE,

Pulheim-Brauweiler