Wie schmeckt neutral?

WEISS Abschweifen, Sinnieren, Philosophieren – in Weiß ist alles drin. Monochromes Adventsdinner, Teil 2

■ Pastinakensuppe: 1 Kilo Pastinaken, 3 Stangen Sellerie, 2 Zwiebeln und ein paar Lauchzwiebeln klein schneiden, anrösten, 500 Milliliter Fond und 250 Milliliter Weißwein aufgießen. Alles eine halbe Stunde köcheln lassen, dann pürieren. Die Suppe aufkochen, Sahne zufügen, fertig.

■ Pasta Gorgonzola: Butter und Sahne erhitzen, Gorgonzola in Stücke schneiden und in der Sahne schmelzen. Soße über die gekochte Pasta, Parmesan und Honigmelonenscheiben über die Soße.

■ Schokomousse mit Birnen: 1 Ei und Eigelb mit 2 Esslöffeln Zucker, 180 Gramm geschmolzener weißer Schokolade und 200 Gramm geschlagener Sahne verrühren. Mindestens 4 Stunden kalt stellen. Birnen halbieren und 10 Minuten in einem Sud aus 500 Millilitern Weißwein, 200 Gramm Zucker und etwas Basilikum kochen lassen.

TEXT ANNABELLE SEUBERT
FOTOS DAVID OLIVEIRA

Weiß soll die Farbe der Unschuld sein – schön wär’s. In Wirklichkeit ist es ganz anders. Da kann Weiß Vertrauensverhältnisse zerstören, vorsichtig eingefädelte, mühsam aufgebaute. Mit dem Gemüsehändler an der Ecke zum Beispiel hat es sehr lange gedauert. Monate mussten vergehen, bis er nach einem „Hallo“ im Flüsterton, eigentlich war es mehr ein Nicken als Flüstern, noch einen „schönen Tag“ dazu wünschte.

Dann gab es diese Abmachung, die all das hätte ändern können, die Farbe der Unschuld schien zur Farbe des Eisbrechens zu mutieren, sie schien die Zunge des Gemüsehändlers zu lösen. „Am Mitt…, am Mittwoch“, stolperten die Worte aus seinem Mund, er würde sie haben, die Pastinaken, außen braun und runzlig, aber innen, innen weiß. Ein Kilo. „Versprochen.“

Monochromes Essen, Teil zwei. Ein Dinner mit drei Gängen für eine dreiköpfige Jury in nur einer Farbe – einer der Weihnachtsfarben, in Rot, Grün, Weiß, Gold – kochen, das ist die Vorgabe. Möglichst deliziös, der Anspruch. Nach einem goldgelben Adventsmahl diesmal: jenes in Weiß.

Weiß, denke ich, Hochzeit, Lilien, Papst, trallala. Weiß steht für Stille, Klarheit, für geputzte Waschbecken, saubere Unterhosen, Ärztekittel. Mit Weiß kann man nicht viel falsch machen, aber auch nicht viel richtig, weiß ist neutral, langweilig, Durchschnitt. Wie bitte soll „neutral“ schmecken, und dann noch gut?

Das ist nur der Anfang. Es plagen noch ganz andere Fragen.

Zuerst die Sahne schlagen für das weiße Schokoladenmousse? Oder zuerst die Butter zum Gorgonzola geben, der samtig über die Pasta fließen soll? Auf halb neun kochen, um dem Fotografen Weißes vorsetzen zu können, wenn er kommt – und so riskieren, dass die Jury, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät eintreffen wird, dann kalte, klebrige Nudeln essen muss? Oder den Fotografen warten lassen? (Darf man Fotografen denn warten lassen?)

Es ist Mittwoch und es erscheint richtig, mit der Vorspeise anzufangen, nicht nur, um das Verhältnis zum Gemüsehändler zu stärken. Also schnell zum Laden, Tür auf, ein freundlicher Blick, ein lautes „Hallo“, und: Nichts. Nicht eine traurige Pastinake im Pastinakenkorb. Der Gemüsehändler sieht nicht mal so aus, als täte es ihm leid. Er zuckt die Schultern. „Morgen“, sagt er. „Morgen bestimmt.“

Weiß, denke ich, Farbe des Beginns. Weißes Blatt, weiße Leinwand.

Dann heißt es Messer aus der Schublade und einhacken. Auf Supermarkt-Pastinaken, die auch innen etwas runzlig sind, aber weiß, immerhin. Auf Sellerie und auf Lauchzwiebeln, auf Knoblauch und Petersilie, zwischendurch rühren, pürieren, Fond dazu, Weißwein, Sahne, der Fond färbt, die Suppe wird braun.

Die Jury ist da, nimmt’s gelassen, googelt Goethes Farbenlehre. Man nippt am Weißwein, trinkt auch Wasser und redet über die Farbe in den Gläsern. Über jene Farbe, die nicht weiß ist und nach Muskat riecht, wie die Weintrinker finden. Die anderen, die mit dem Wasser in der Hand, reden über die Summe aller Farben, die farblos daherkommt, die Leere bedeutet und Fülle und Licht. In Lissabon sei das Tageslicht weniger weiß als hier in Berlin, sagt der portugiesische Fotograf in gebrochenem Deutsch. Hin und wieder sagt er auch: er müsse los. Und bleibt. Er schnappt das Wort „Schnittmenge“ auf, die Jury versucht zu erklären, was es heißt, auf Englisch, mit Händen. Er nickt, sagt dann: „Berlin is my Schnittmenge.“

Der Hauptgang geht jetzt schnell, Nudeln kochen, Gorgonzola mit Butter und, richtig, Sahne mischen, erhitzen, Parmesan drüber, Honigmelonenscheiben dazu, fertig. Späte Erkenntnis: Weißes Essen hebt sich nur schwer von weißen Tellern ab. Sagen wir: gar nicht.

Klarer Fall von Selbstbewusstseinsstörung, dieses Weiß, denke ich. Weiß ist der Teller, der sich unter Gutem versteckt. Ist der Zucker, der sich auflöst im Tee, ist eine Wandfarbe.

„Weiß – die Farbe des Vergessens“, sagt ein Jurymitglied und löffelt weißes Schokoladenmousse mit Birnen. Es schmeckt süß.