Grässlin gegen Daimler im Doppelpack

Der Dauerstreit zwischen Jürgen Grässlin und dem größten deutschen Industriekonzern wird vor Gericht fortgesetzt. Der Daimler-Kritiker kämpft in zwei Runden: gegen Exchef Jürgen Schrempp und seinen Nachfolger Dieter Zetsche

HAMBURG taz ■ Der Mann scheint besessen von dem Traum, den Autokonzern plattzumachen. In mittlerweile vier Büchern geißelt Jürgen Grässlin Waffengeschäfte und sonstige Geschäftspraktiken des Daimler-Konzerns, er führt die Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) an und setzt Exboss Jürgen Schrempp und seinen Nachfolger Dieter Zetsche unter juristischen Dauerdruck.

Die zweite Runde mit dem früheren Daimler-Chef Jürgen Schrempp begann in der vergangenen Woche im Hanseatischen Oberlandesgericht. Ein würdiger Rahmen, in dem zwischen Eichenholz-Emporen und dem zärtlichen Licht von Jugendstil-Lämpchen knallhart um die Geschäftspolitik des größten deutschen Industriekonzerns und um die Meinungsfreiheit gestritten wird.

In der ersten Runde verbot das Landgericht dem Fünfzigjährigen drei Sätze, die er im Juli 2005 im Südwestrundfunk geäußert hatte. Sie dürfen auch in der taz nicht mehr zitiert werden. Einen Tag zuvor war der Daimler-Boss, trotz eines bis 2008 laufenden Vertrages, überraschend zurückgetreten – aus freien Stücken, wie der Freiburger Schrempp erklärte. Grässlin bezweifelt dies in dem Interview. Schließlich habe es von Daimler keinen Dank und keine Abfindung für den zeitweiligen Superboss gegeben.

Freilich hatte Publizist Grässlin nicht einfach eine blinde Behauptung aufgestellt, sondern seine TV-Ansicht mit „ich glaube“ rechtlich abgesichert. Dachte er. Was Grässlin für eine legitime Meinungsäußerung hält, ist für Schrempp eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Eine Auffassung, die Richterin Marion Raben zu teilen scheint, wie sie in ihrer Eröffnungsansprache durchblicken lässt. Überraschenderweise äußert sie zugleich Verständnis für die scharfe Kritik an der verkorksten Ära Schrempp. Bei Daimler scheinen „schlimme Dinge“ gelaufen zu sein, sagt sie. Grässlins Klage reicht von der Unterstützung der südafrikanischen Apartheidpolitik während der Achtzigerjahre bis zu einem Interview mit der Financial Times über den vorgeblichen Zusammenschluss mit Chrysler, der tatsächlich eine Übernahme war. Das Interview kostete den Konzern 300 Millionen Dollar Schadensersatz für die sich geprellt fühlenden Chrysler-Altaktionäre.

Trotzdem seien Grässlins Sätze im Fernsehinterview wohl zu persönlich formuliert worden, gibt Richterin Raben zu bedenken. Ein Angebot, künftig auf die beklagenswerte Wortwahl zu verzichten, lehnt Grässlin ab, dieser Prozess werde um „den Grundsatz der Meinungsfreiheit“ geführt. Der Kompromiss ist Grässlins Sache nicht, wenn es gegen Daimler geht. Notfalls werde er vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

Dort könnte dann auch der zweite, ähnliche Prozess gleich mitentschieden werden, den Grässlin gegen den aktuellen Daimler-Chef Zetsche führen wird. Dieser hat just dem „Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten“ freudig erklärt, dass sich der Autokonzern von der US-Beteiligung Chrysler des Vorgängers Schrempp, kurz vor der US-Finanzkrise, in allerletzter Minute getrennt habe.

Zetsche hat Grässlin ebenfalls aufs juristische Korn genommen. Dieser wirft jenem vor, dass während seiner Zeit als Vertriebsvorstand 1995 bis 1999 die Graumarktgeschäfte geblüht hätten. Dabei handele es sich um illegale Geschäfte an den autorisierten Mercedes-Händlern vorbei – in großem Stil. „Es wurde geliefert in die Türkei, nach Russland, Nordafrika, Thailand, Taiwan usw.“ Zetsche dementiert. Es habe kaum Graumarktgeschäfte gegeben, Einzelfälle seien „ausgemistet“ worden. Und Zetsche will nun ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro kassieren. Doch laut Stuttgarter Staatsanwaltschaft besteht der Anfangsverdacht, dass Zetsche als Zeuge in einem Prozess gegen einen Spediteur im Jahr 2002 die Unwahrheit gesagt habe – Grässlin habe der Staatsanwaltschaft neue Unterlagen vorgelegt. HERMANNUS PFEIFFER