Die Grenzen der Niedersachsen

Nach der 2 : 3-Niederlage gegen Schalke 04 hagelt es beim Profi-Talk massiv Lob für Dieter Hecking, den Trainer von Hannover 96. Der sieht die Dinge realistischer und bedankt sich bei seiner Mannschaft vor allem fürs Mitspielen

Da sitzt Dieter Hecking nun in den Sesseln, die die Fußball-Medienwelt bedeuten. Der Trainer des Fußballbundesligisten Hannover 96 ist zu Gast im „Doppelpass“, der sonntäglichen TV-Gesprächsrunde deutscher Fußballexperten. Keine 20 Stunden sind vergangen seit der 2 : 3 (1 : 1)-Niederlage seiner Mannschaft im Heimspiel gegen den FC Schalke 04.

Trotzdem attestieren ihm die professionellen Ausdeuter des deutschen Fußballs durchweg Gutes. Er, also Hecking, habe der Mannschaft „ein Gesicht“ verpasst, ist da zu hören. Das soll wohl hießen, dass die 96er ihr taktisches Niveau durch Heckings Expertise steigern konnten. Die Mannschaft, so sagt ein Fernsehjournalist, sei „gewachsen“, ja mittlerweile gar „the best of the rest“, sprich: nach den etablierten Spitzenteams die stärkste der Liga.

Hecking hingegen blieb gelassen und bedankt sich für die verbalen Blumen. Er weiß von Amts wegen am besten Bescheid über das Leistungsvermögen seiner Mannen und verlor unmittelbar nach dem Abpfiff der Partie ein paar ehrliche Worte: „Ich muss ganz klar sagen, dass Schalke 04 eine Qualität hat, die wir noch nicht haben. Das ist die Erkenntnis des Tages für uns.“ 96-Sportdirektor Christian Hochstätter schob nach: „Das war heute ein Anschauungsbeispiel dafür, was unserer Mannschaft noch fehlt.“

Das saß. Schließlich fühlt sich der Verein seit längerem zu Höherem berufen. Immer wieder träumt man in der niedersächsischen Landeshauptstadt vom Europapokal. Gestreut werden diese Gerüchte von einer nach Erfolg dürstenden Presse, genährt durch eine ehrgeizige Vereinsführung um den 96-Geschäftsführer Martin Kind und aufgegriffen von einer Mannschaft, die soliden Fußball spielt – aber eben nicht mehr.

Häufig verkannt wird außerdem, dass 96 noch vor einem guten Jahr um den Verbleib in der Klasse fürchten musste. Damals trainierte Peter Neururer in Hannover einen zerfahrenen Haufen und verlor Spiel um Spiel. Die Entscheidung, ihn zu entlassen und Dieter Hecking von Alemannia Aachen zu verpflichten, war so mutig wie umstritten.

Heute gilt der 43-jährige Hecking als Trainer modernen Zuschnitts und muss sich bemühen, die allgemeine Euphorie in Hannover etwas zu bremsen. „Wir sollten uns nicht fragen, was alles einmal sein könnte, sondern uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren“, sagt Hecking. Tatsächlich hätte das Heimspiel gegen Schalke auch mit einer 2 : 5, 2 : 6 oder 2 : 7-Schlappe enden können. Schalke zeigte den Niedersachsen 90 Minuten lang ihre Grenzen. Der Mann des Tages war bei den Blau-Weißen Kevin Kuranyi, der zwei Tore selbst erzielte (41.und 50. Minute) und den Pass zum entscheidenden dritten Tor auf Altintop spielte (61.). Sechs weitere hervorragende Gelegenheiten hatten die Schalker, scheiterten jedoch entweder an sich selbst oder aber an 96-Torwart Robert Enke. Dennoch glückte Hannover 96 zwei Treffer durch Szabolcs Huszti (17. und 53. Minute), die das Spiel wenigstens vom Ergebnis her spannend hielten. „Ich mache meiner Mannschaft ein Riesenkompliment, dass sie zu diesem Spiel beigetragen hat,“ sagte Hecking. Aber die Ansprüche der 96er zeigten sich in der Enttäuschung nach dem Abpfiff. Abwehrspieler Frank Fahrenhorst war geknickt und sagte: „Wir hätten heute nicht verlieren müssen. Ich bin nicht zufrieden.“ Auch Verteidiger Sergio Pinto, einst in Gelsenkirchen beschäftigt, sagte: „Schalke war heute klar besser als wir,“ fügte aber sogleich hinzu: „Das Potenzial ist aber bei uns ist da. Wir wollen nach oben.“ Die Bedeutung der Niederlage beschrieb 96-Torwart Enke treffend: „Dass wir jetzt ein bisschen stehen bleiben, ist schade. Stören lassen wir uns aber dadurch nicht.“ LARS GEIGES