Dr. Jammer fährt ein

Der Hamburger Schönheitschirurg Roland St. wird wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Eine Patientin von ihm war nach einer Nasenoperation in seiner Tagesklinik gestorben

Nach dem Arbeitstitel „Dr. Horror“ trug ihm sein Auftreten vor Gericht den Spitznamen „Dr. Jammer“ ein.

Von ELKE SPANNER

Grandiose Selbstüberschätzung ist ein Charakterzug, der Roland St. unmittelbar anzumerken ist. Er ist ein Mann, der jedes Wort mit belehrendem Unterton vorträgt und die Verantwortung für Probleme gern bei anderen sucht.

Selbstüberschätzung war es nach Überzeugung des Hamburger Landgerichtes auch, was den Schönheitschirurgen am 15. Dezember 2005 dazu veranlasste, Tülay D. an der Nase zu operieren, obwohl niemand zur Überwachung der Narkose mit im OP-Saal war. Die 33-Jährige erlitt einen Kreislaufzusammenbruch, fiel ins Koma und starb drei Tage später auf der Intensivstation des Krankenhauses Barmbek. Das Hamburger Landgericht sprach Roland St. gestern der fahrlässigen Tötung schuldig. In die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren flossen frühere Verurteilungen mit ein.

Tülay D. war in die Bramfelder Tagesklinik des Angeklagten gekommen, um eine Korrektur an ihrer Nase vornehmen zu lassen. Der Angeklagte, sagte das Gericht, habe gewusst, dass er zur geplanten Betäubung einen Assistenten hinzuziehen musste: Tülay D. sollte zusätzlich zur Lokalanästhesie in einen Dämmerschlaf versetzt werden – in der Medizin ist bekannt, dass die Kombination der beiden dazu verwendeten Medikamente Komplikationen verursachen kann.

Der Krankenpfleger aber, der die Patientin während des Eingriffs beobachten sollte, sagte kurzfristig ab. Roland St. beorderte daraufhin seine Lebensgefährtin in den Saal. Bis dahin sei ihm sein Handeln nicht vorzuwerfen, sagte das Gericht, obwohl die Frau keine medizinische Ausbildung hat: Die Assistentin sollte nur Werte von Geräten ablesen.

Unmittelbar vor Beginn der Operation aber verließ sie den Saal. Roland St. operierte trotzdem weiter. „Sie operierten in Ihrem Grandiositätsdenken: Ich bin ein toller Mann, ich kann das auch alleine“, hielt das Gericht dem Chirurgen vor. Die Narkose habe er aber nicht überwachen können, weil er auf die Operation der Nase konzentriert gewesen sei. Als er die Kreislaufprobleme seiner Patienten bemerkte, war es zur Rettung bereits zu spät. Ihr Gehirn war bereits über längere Zeit nicht mehr mit Sauerstoff versorgt.

Schon vor dem Tod von Tülay D. war Roland St. in der Hamburger Ärzteschaft bestens bekannt. Bei der Ärztekammer lagen zahlreiche Beschwerden von Patienten wegen fehlerhafter Behandlung gegen den Mediziner vor. Er war bereits mehrfach wegen Betruges verurteilt. Zu dem Zeitpunkt, als Tülay D. starb, ermittelte die Staatsanwaltschaft zudem in 14 Fällen wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen den Arzt. Doch erst nach dem Todesfall im Dezember 2005 entzog die Gesundheitsbehörde dem Mediziner die Approbation.

Diesen Februar hatte das Landgericht den 44-Jährigen wegen weiterer Anklagen zu drei Jahren Haft verurteilt. Dr. St. hatte bei zwei Patienten beim Fettabsaugen gepfuscht sowie in zehn Fällen Mietkosten und Rechnungen für Praxisbedarf nicht bezahlt.

Beide Verfahren gegen den Mediziner haben den Kammern, die über ihn zu urteilen hatten, viel Geduld abverlangt. Wer unwissend in die Verhandlung gestolpert wäre, hätte kaum auf die Idee kommen können, dass Roland St. der Angeklagte war. In stundenlangen Erklärungen stellte er sich als Opfer unglücklicher Umstände dar. Hartnäckig jammerte er zudem über die Behandlung in der Haft sowie seinen Gesundheitszustand, der es ihm unmöglich mache, die Verhandlung durchzustehen. Mal war ihm schwindelig, mal schmerzte ein Bein, dann tat der Bauch weh, später der Kiefer. Im vorherigen Verfahren war schließlich durchweg ein Arzt mit im Saal, um die Wehwehchen seines Kollegen vor Ort abklären zu können. Nach dem Arbeitstitel „Dr. Horror“ trug ihm sein Auftreten vor Gericht den Spitznamen „Dr. Jammer“ ein.

Außerdem füllte Roland St. die Verhandlungstage mit endlosen Monologen. In dem vorherigen Verfahren sagte die Richterin in der Urteilsbegründung: „Wenn es den Tatbestand des Zeitdiebstahls gäbe – Sie hätten ihn verwirklicht.“ Das Gericht, das über den Tod von Tülay D. zu urteilen hatte, sprach gestern von einer „schweren narzistischen Persönlichkeitsstörung“, die sich jedem, der die Verhandlung verfolgte, aufgedrängt habe.

Der Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der den Ehemann von Tülay D. als Nebenkläger vertrat, betont, dass Todesfälle wie dieser nicht nur juristische Konsequenzen haben müssten. Es müsse von medizinischer Seite sichergestellt werden, dass bei lokalen Operationen zusätzlich zum Operateur ein zweiter Arzt zur Überwachung der Narkose anwesend ist.