Nerven dünn wie Zahnseide

Viele Lehrer sind vom Schulalltag psychisch überfordert, das zeigt eine neue Studie aus Potsdam. Die taz nord besuchte die Lehrer von morgen – im Fachschaftszimmer der Hamburger Erziehungswissenschaften

Der Von-Melle-Park ist der Mittelpunkt des Campus an der Uni Hamburg. Unzählige Studenten strömen aus Sechziger-Jahre-Betonbausünden oder zwängen sich in die Eingänge. Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler lassen sich anhand des leicht snobistischen Auftretens schnell ausmachen. Sie sind der Jetset des Campus. Aber wie erkennt man die Lehramtsstudenten?

Unauffällig schieben sich zwei junge Frauen an den anderen Studenten vorbei und gehen zielsicher auf ein lang gezogenes Gebäude mit gelb gefliester Außenfassade zu. Am Eingang ist ein Plastikschild angebracht auf dem das Wort „Erziehungswissenschaften“ eingraviert wurde. Der Bau ist das Zentrum der zukünftigen Lehrer Hamburgs.

Eine Studie der Uni Potsdam zeigt, dass von 3.000 LehrerInnen gerade mal 14 Prozent die Voraussetzungen mitbringen, die sie bräuchten, um den psychischen Belastungen des Lehrerberufs gewachsen zu sein. Sie kommen mit den großen Klassen nicht zurecht, die verhaltensauffälligen Schüler machen ihnen zu schaffen.

Innen in dem Gebäude sieht es kahl aus. Einen breiter Gang führt ins „Cafe Paranoia“, das Café der Fachschaft für die Erziehungswissenschaften an der Hamburger Uni. Die Atmosphäre ist entspannt, an der Wand hängen Ausschnitte der Bild-Zeitung. Der Witzigste hat den Ehrenplatz hinter dem Tresen: „Wir haben die Vogelgrippe.“ Es gibt Kaffee und Plätzchen.

Hinter dem Tresen, an der Kaffeemaschine, steht Marco, roter Vollbart, lange Haare. Er hat dieses Jahr die Erstsemester im Lehramtsstudium in der Einführungswoche betreut. Er selbst studiert Lehramt für Geschichte. Auf die Frage, wieso sich so viele für Lehramt einschreiben – 6.376 Lehramtsanwärter allein in Hamburg – antwortet er süffisant: „Für die sind Kinder halt niedlich und die meisten wollen denen gerne was beibringen.“

Er selbst gehört wahrscheinlich zu den wenigen, die den Beruf aushalten und sogar Spaß daran haben könnten. Er arbeitet nebenher in dem Problemstadtteil Hamburg-Mümmelmannsberg, in einem Jugendzentrum. Das erste Mal vor einer Tafel stehen müssen die Studenten der Lehramtsstudiengänge erst zwischen dem fünften und sechsten Semester, kurz nach der Zwischenprüfung. Dieses Praktikum ist nur ein kleiner Ausflug in den zukünftigen Alltag. Denn noch ist man nur Beobachter und schaut zu, wie andere unterrichten.

„Beim ersten Staatsexamen wird man ins kalte Wasser geschmissen. Hat man dann noch einen schlechten Lehrer als Mentor, kann man es vergessen“, erklärt Marco. Die Praxis des Unterrichtens spiele in der Ausbildung keine Rolle und werde im Übrigen auch nicht als Aufgabe der Uni gesehen. Marco grinst, sein neben ihm sitzender Fachschaftskollege nickt. THOMAS EWALD