Der sich gemäßigt gibt

Eine steile Karriere: Kurz nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali empfing der 61-jährige Hamadi Jebali die Presse überall. Ein alter Pkw mit einem Handschuhfach voller Handys diente dem Generalsekretär der islamistischen Ennahda als Büro. Der Ingenieur und Besitzer einer Firma für erneuerbare Energien pendelte ständig zwischen seinem Heimatort Sousse und der Hauptstadt Tunis. Doch jetzt zieht Jebali in den prunkvollen Regierungssitz in der Altstadt von Tunis.

Seine Ennahda wurde bei den ersten freien Wahlen im Oktober stärkste Partei. Der frühere Oppositionelle, der 16 Jahre in Haft verbrachte, davon zehn, „ohne mit jemandem sprechen zu können, ohne Lektüre und ohne Schreibutensilien“, wird neuer Regierungschef.

Jebali gehört zur jungen Generation, auf die Parteivater Rachid Ghannouchi setzt. Die Hornhaut auf der Stirn, wo das Gesicht beim Beten den Boden berührt, weist Jebali als guten Gläubigen aus. Nach dem Studium in Paris schloss er sich Ende der 1970er Jahre Ennahdas Vorgängerorganisation, der Bewegung der islamischen Tendenz, an. Sein Amt als Chefredakteur der Parteizeitung brachte ihm 1991 die erste Haftstrafe ein. 1992 wurde er wegen „eines Komplotts mit dem Ziel, die Staatsform zu verändern“, zu 16 Jahren verurteilt. 2006 wurde er begnadigt.

Während in Ennahdas zweiter Reihe von Alkohol- und Bikiniverbot die Rede ist und selbst Parteigründer Ghannouchi gegen die frankofonen Eliten wettert, gibt sich Jebali gemäßigt. Die türkische AKP sei sein großes Vorbild. „Ich setze auf den freien Dialog mit allen demokratischen Kräften“, beteuerte er vor den Wahlen und schloss ein Bündnis mit Sozialdemokraten.

Weltlich orientierte Tunesier nehmen Jebali dies nicht ab. Sie verweisen auf einen der wenigen Ausrutscher des auf sein Image bedachten Politikers. Tunesien befände sich am „Beginn einer neuen Zivilisation, dem sechsten Kalifat“ – also einer Staatsform, in der Politik, islamische Religion und islamisches Recht eine Einheit bildeten – erklärte er auf einer Veranstaltung. Er habe nur „ein Beispiel für gute Regierungspraxis, basierend auf Recht und Ethik“, geben wollen, sagte er später. REINER WANDLER