Bloß keine Frühlingsgefühle aufkommen lassen

JEMEN Selbst wenn der Präsident wirklich abdankt, kontrolliert sein Clan immer noch Militär, Sicherheitskräfte und Parlament

Die Jemeniten müssen nicht nur eine von den Sicherheitskräften getrennte Regierung aufstellen, sondern sich auf eine wirklich föderale Verfassung einigen

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Der Diktator ist weg, aber sein Einfluss bleibt und zur Rechenschaft wird er auch nicht gezogen. So lässt sich der Deal beschreiben, mit dem der jemenitische Präsident Abdallah Saleh jetzt in einem Abkommen seine Abdankung besiegelt hat.

Am Mittwoch hatte er den vom Golfkooperationsrat vermittelten Handel in Saudi-Arabien unterschrieben. Laut dem Abkommen muss Saleh innerhalb von 30 Tagen zurücktreten und sein Amt dem Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi übergeben. Im Gegenzug wird Saleh Straffreiheit zugesagt.

Hadi muss nun eine Regierung der Nationalen Einheit bestimmen und innerhalb von 90 Tagen Präsidentschaftswahlen organisieren. In den ersten drei Monaten nach seiner Amtsabgabe darf Saleh kurioserweise dann auch noch den Titel „Ehrenpräsident“ tragen.

Auf dem „Platz der Veränderung“ – wie der Ort vor der Universität in Sanaa genannt wird, wo seit zehn Monaten die Regimegegner zelten – hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Sie betrachten Salehs Rücktritt nur als Etappensieg und haben angekündigt, ihre Proteste weiterzuführen.

Am meisten ärgert die dortigen Aktivisten die Immunität, die sich Saleh durch diesen Deal erkauft hat. Ein Hohn für alle, die beim Aufstand gegen Saleh gestorben sind, sagen sie. Das Abkommen geht ihnen nicht weit genug, weil es außer Saleh andere hochrangige Regimevertreter in Amt und Würden lässt, vor allem innerhalb der Armee und der Sicherheitskräfte, die teilweise noch von Familienmitgliedern Salehs kontrolliert werden.

Salehs Sohn beispielsweise ist Chef der Republikanergarde. Wenn die Sicherheitskräfte nicht neu strukturiert werden, wird nicht nur die Übergangsregierung Hadis zu einer Geisel der Sicherheitskräfte und des Clans der Salehs. Auch ein neuer Präsident würde dasselbe Schicksal erleiden.

In der Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen könnte allerdings ein erneuter Machtkampf um die erste Position im Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel ausbrechen, wenn der Saleh-Clan einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt.

Laut Verfassung ist es das ansonsten relativ machtlose Parlament, das den Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen bestätigen muss. Die Mehrheit im Parlament indes hat Salehs Regierungspartei. Ein weiterer Umstand, der deutlich macht, dass die Abdankung des Mannes an der Spitze noch längst keine wirkliche Veränderung bedeuten muss.

Manche schließen sogar ein Comeback von Saleh nicht aus, wenn dieser es schafft, für genug Chaos im Land zu sorgen: Die Tinte auf Salehs Abdankungsabkommen war noch nicht trocken, da wurden in Sanaa mindestens fünf Demonstranten erschossen und Dutzende verletzt.

Selbst wenn es die Jemeniten durchsetzen können, dass die Sicherheitskräfte neu strukturiert und von Vertretern des alten Regimes gesäubert werden, steht ihnen eine lange Liste von Aufgaben bevor: Sie müssen die Ressourcenverteilung zwischen Norden und Süden auf eine gerechtere Basis stellen, wollen sie nicht Gefahr laufen, dass sich der Süden abspaltet. Und sie müssen ein Auskommen mit den in den letzten Jahren gegen die Zentralregierung aufständischen schiitischen Huthis im Norden Jemens finden.

Schaffen können sie beides nur, wenn sie nicht nur eine von den Sicherheitskräften getrennte Regierung aufstellen, sondern sich auf eine wirklich föderale Verfassung einigen können. In alldem dürfen sie nicht den Kampf gegen die Kader al-Qaidas im Hinterland vergessen, damit ihr Land nicht erneut durch Aktionen militanter Islamisten in die internationalen Negativschlagzeilen gerät.

Das größte Problem der jemenitischen Erneuerung liegt allerdings hinter der nördlichen Grenze. Das reiche Saudi-Arabien mit seinem starken Einfluss auf den verarmten südlichen Nachbarn hat mit dem von ihm gesponserten Übergangsplan vor allem ein Ziel: Mit der Auswechslung an der Spitze hofft es den Unruheherd im Süden zur Ruhe zu bringen und dabei den darunterliegenden Status quo beizubehalten. Denn eines wollen die saudischen Herrscher auf keinen Fall zulassen: einen jemenitischen Frühling in unmittelbarer Nachbarschaft, der auch bei den Saudis Frühlingsgefühle erwecken könnte.