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: HELMUT HÖGE über Freibier und Musik

„Das Einzige, was zählt, ist der Augenblick, aber auch das Jahrhundert!“

Man glaubt es kaum, wie viele taz-Redakteure und -Autoren im Nebenberuf DJs sind – auch wenn das bei einigen schon Jahrzehnte her ist, bei anderen nur wenige Tage. Da ist erst mal der taz-Blogwart Mathias Broeckers: Schon Ende der Sechzigerjahre legte er im kirchlichen Jugendkeller von Limburg Platten auf. Und nicht nur das: Er installierte dort auch eine Lichtorgel bestehend aus sechs bunten Glühbirnen und ebenso vielen Schaltern, die er im Rhythmus der Rockmusik ein- und ausschaltete. Schon bald versuchte man im Rathaus, ihm den Club auszuknipsen. Die Begründung des Bürgermeisters dafür: „Die spritze sisch da des pure Hasch!“

Etwa zur selben Zeit arbeitete ich als Aushilfs-DJ in der Bremer Disco „Dschungel“, die so hieß, weil am Rande der Tanzfläche lauter Papppalmen standen. Einige Jahre später spielte Barbara Dribbusch in einer Rockband und stand auf Partys gelegentlich als DJane hinterm Mischpult. Vor etwa fünfzehn Jahren legte Meike Jansen „Noise“ und „Experimentelles“ auf. Erwähnt sei ferner Harald Fricke, der auch als DJ sehr ambitioniert war. Dann Daniel Bax, der gewissermaßen auf „Oriental“ spezialisiert ist, während der jetzige Musikredakteur Tobias Rapp mehr auf „Soul“ steht.

Kirsten Risselmann legte zuletzt Ultramodernes in der „Palomabar“ auf. Einen ähnlichen Musikgeschmack haben Gerrit Bartels und Arno Frank. Wohingegen Matthias Urbach neulich auf einer Party „Evergreens“ bevorzugte. Im taz-Café spielen die Empfangschefs Henry Budziarek und Stefanie Grimm täglich und eher notgedrungen „Dezentes“. Und am letzten Wochenende versammelte der Auslandsaushilfsredakteur Rüdiger Rossig nahezu sämtliche jungen Balkanexilanten in Tatiana Kourilskaias Kneipe „Schmitz’ Katze“, weil seine „Jugo-Disco“ dort einheizte. Abgesehen von der Nationalhymne und dem Hit „Jugoslawia“ war das meiste, was er auflegte „No Identity“, wie er meinte. Die Aushilfsbarfrau und taz-Autorin Antonia Herrscher fand das jedoch gar nicht: „Das war doch reinster Ostblock-Rock und -Pop.“ Gegen Morgen kam es – weniger wegen der Musik, sondern eher wegen des selbst gebrannten Slibowitz und des Belgrader Biers, aber auch wegen der balkanischen Ehre – zu einer heftigen Schlägerei zwischen einem Mann und einer Frau. So etwas hatte es bis dahin bei einem taz-DJ noch nie gegeben, sieht man mal von Wladimir Kaminers „Russendisko“ ab, wo öfter solche oder ähnliche Entgleisungen stattfinden. Kaminer hat jedoch eine schnelle Eingreiftruppe dafür: den Türsteher und Schachmeister Thomas nebst einem Aushilfsrausschmeißer.

Nun gibt es aber auch einige tazler, die noch nie DJs waren. Anlässlich eines „Erntedankfestes“ sprachen sie neulich auf der Dachterrasse über ihre Gründe: 1. „Ich bin unmusikalisch.“ 2. „Man hat uns postfaschistischen Westdeutschen im Gegensatz zu den präkommunistischen Ostdeutschen jegliches Liedgut ausgetrieben.“ 3. „Norddeutsche singen nicht: „Frisia non cantat“ (Tacitus).“ 4. „Meine Mutter hat mich bereits mit Bob Dylan, Edith Piaf, Ray Charles und Pete Seeger gequält.“ 5. „Ich habe zu viele Jahre in Diskos verballert und mein Gehör ramponiert, jetzt stößt mich dieser ganze Party- und Clubscheiß ab.“ 6. „Seitdem die Rockmusik nicht mehr verboten ist und stattdessen aus allen Schuh- und Klamottenläden sowie Radiosendern und U-Bahnen dröhnt, interessiert sie mich nicht mehr.“ 7. „Sie ist längst nicht mehr Teil einer sozialen Bewegung.“ Ein Rolling-Stone-Musikredakteur meinte mal: „Das Ende der Rockkonzerte begann mit dem T-Shirt-, Poster- und sonstigem Fan-Klimbim-Verkauf. Ab da interessierten sich die Musiker nicht mehr dafür, wie die Leute während ihres Konzerts drauf waren, sondern wie viel sie von dem Zeug verkauft haben.“ 8. „Ich fand schon die Kolumnen von Jonas Überohr (Helmut Salzinger) in der Sound bisweilen hermeneutisch überanstrengt, die Musiktexte von Klaus Theweleit viel zu lang und die von Diedrich Diederichsen in der Spex geradezu gaga. Allen dreien ging es glaube ich darum, ‚ihre‘ jeweiligen Bands irgendwie doch noch diskursmäßig rüber zu retten.“ 9. „Wenn Musik, dann höre ich inzwischen am liebsten klassische. Aber noch lieber ist mir die Stille – da will ich auch nichts über laute Musik lesen.“