„Nord-Dorf“ wider Willen

Hamburgs Bürgermeisterkandidat Michael Naumann (SPD) klagt gegen die Behauptung, er habe als Journalist dem Bundesnachrichtendienst unter dem Decknamen „Nord-Dorf“ jahrelang wichtige Informationen zugetragen

Der Kandidat ging in die Offensive. Mit einem launigen „Hallo, hier kommt Nord-Dorf“ betrat gestern der Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidat, Michael Naumann, den Raum 104 der Hamburger SPD-Zentrale, in dem ausgewählte Pressevertreter auf ihn warteten. Der Hintergrund: Unter dem Decknamen Nord-Dorf wurde Naumann jahrelang vom Bundesnachrichtendienst (BND) geführt. Ein Umstand, aus dem das Vorstandsmitglied der Hamburger Linken, Horst Bethge, gut drei Monate vor der Bürgerschaftswahl gern politisches Kapital ziehen würde.

Bethge streute die Nord-Dorf-Geschichte an einen „ausgewählten E-Mail-Verteiler“ und hat deshalb nun eine Klage des Kandidaten am Hals. Am heutigen Freitag wird das Hamburger Landgericht entscheiden, ob Bethge weiter „den Eindruck erwecken“ darf, „Naumann sei mit seinem Wissen und Wollen vom BND unter dem Decknamen Nord-Dorf geführt worden und habe dem BND in dieser Funktion Informationen zugetragen“.

„Ich habe diese Klage angestrengt, weil ich mir nicht nachsagen lasse, als Journalist Mitarbeiter irgendeiner Regierungsorganisation gewesen zu sein“, sagt Naumann. Er ahnt, dass das Gerücht, er hätte für den Nachrichtendienst als Informant gearbeitet, ihm im Wahlkampf vor die Füße fallen könnte. So habe das Bethge-Papier bereits eine geraume Zeit in der Hamburger SPD-Fraktion kursiert und den Flurfunk befördert. Weist das Landgericht heute seine Klage ab, dann habe er, weiß Naumann, „ein Problem“.

Das hat er schon jetzt. Denn die Nord-Dorf-Geschichte wurde erstmals bereits 1998 von dem Buchautor Erich Schmidt-Eenboom in seinem Buch „Der BND und die deutschen Journalisten“ veröffentlicht. Naumann hat ihr nie juristisch widersprochen. In dem Buch behauptet der Autor, Naumann habe sich als Journalist mehrfach von dem ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Wessel für dessen Ziele einspannen lassen. Hintergrund der Behauptung: 1970 hatte Naumann die Tochter des Präsidenten, Christa Wessel, geheiratet.

Naumann streitet diese Unterstellung energisch ab. Er habe mit seinem Schwiegervater nie über dessen Tätigkeit geredet, geschweige denn Gefälligkeitsartikel für ihn verfasst. Die Dossiers, die er für die Zeit über Aktivitäten des Geheimdienstes rund ein Jahrzehnt nach der Heirat verfasste, seien ohne jede Mitwirkung Wessels entstanden. Wie viele andere Journalisten, etwa auch die inzwischen verstorbene Grande Dame der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff (Deckname „Dorothee“), sei er vom BND unter einem Decknamen geführt worden.

Doch obwohl die Behauptungen „Schmidt-Eeenbooms grundfalsch“ seien, habe er damals jede Klage unterlassen, da die Unterstellung „keine Wellen geschlagen“ habe, betont Naumann heute. Knapp zehn Jahre später holt ihn die Geschichte nun unvermittelt wieder ein.

Eigene Beweise dafür, dass Naumann doch engere Kontakte zum BND hatte, als er behauptet, legte der 72-jährige Horst Bethge bislang nicht vor. Er betont sogar, er habe mit dem Recycling der Nord-Dorf-Geschichte „keineswegs den Eindruck erwecken“ wollen, Naumann habe auf der Payroll des BND gestanden oder diesem gar als Informant gedient. Er habe die unwidersprochen gebliebenen Behauptungen Schmidt-Eenbohms in einem von ihm verfassten Dossier zu der Frage „Michael Naumann – wer ist das?“ lediglich erwähnt und ärgere sich nun darüber, dass Naumann „nun vor Gericht ziehe“, sich ansonsten aber weigere „sich mit der Linken politisch auseinanderzusetzen.

MARCO CARINI