Und sonntags zum Krieg

Zehn Monate nach dem Tod eines Polizisten erschüttern erneut Unruhen den italienischen Fußball

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Es war eine Szene, wie sie sich an fast jedem Wochenende auf irgendeiner italienischen Autobahnraststätte abspielt: Ein Auto mit Fans von Lazio Rom hält gegen neun Uhr morgens auf der Raststätte Badia del Pino in der Toskana. Sie sind auf dem Weg nach Mailand, wo am Nachmittag ihr Club gegen Inter spielen soll. Fünf junge Männer steigen aus und sehen sich vier Anhängern von Juventus Turin gegenüber, die auf dem Weg nach Parma sind. Ein Wort gibt das andere, dann fliegen die Fäuste; eine zufällige Begegnung, die in einer Schlägerei endet. Diesmal fällt sie sogar recht klein aus, anders als in den vergangenen Monaten, als immer wieder ganze Busladungen verfeindeter Tifosi-Gruppen aufeinander losgingen und nebenher die Raststätte zu Kleinholz schlugen.

Doch an diesem Sonntag kommt ein weiterer, fataler Zufall hinzu: Vom Rastplatz in der anderen Fahrtrichtung sehen Verkehrspolizisten die Schlägerei. Ein Beamter schaltet die Sirene ein, um auf die Polizeipräsenz aufmerksam zu machen, der andere feuert einen Warnschuss in die Luft. Das reicht, um die Prügelei zu beenden. Die Fans rennen in ihre Autos und fahren los.

Hier hätte die Geschichte enden können. Stattdessen ging sie weiter, mit einer ebenso absurden wie tragischen Wendung. Der Beamte mit der Waffe in der Hand schießt noch einmal, und die Kugel schlägt ins hintere linke Seitenfenster des Wagens ein, in dem die Lazio-Fans sitzen. Der 28-jährigen Gabriele Sandri wird in den Hals getroffen. Luigi S., der Todesschütze, sagt, der Schuss habe sich aus der Waffe „gelöst“, die er noch in der Hand hielt, als er in Fahrtrichtung der startenden Autos gelaufen sei, um die Modelle zu identifizieren. „Gelöst“, um aus mindestens 50, wenn nicht 70 Meter Entfernung den abfahrenden Wagen zu treffen.

Damit hatte der italienische Fußball seine zweite Tragödie binnen zehn Monaten. Erst im Februar war der Polizist Filippo Raciti bei schweren Fankrawallen beim sizilianischen Derby Catania gegen Palermo ums Leben gekommen. Und nun lag ein Tifoso in seinem Blut, nur wenige Stunden vor dem Beginn von acht Spielen der ersten Liga.

Das Innenministerium hatte in Absprache mit den Sportfunktionären schnell zu entscheiden: Entweder alle Spiele absagen, und das Risiko eingehen, dass wütende Fans randalieren. Oder alles weiterlaufen lassen.

Nach dem Tod des Polizisten, so argumentierten der Fußballverband und das Nationale Olympische Komitee, habe es eine mehrwöchige Unterbrechung des Spielbetriebs gegeben. Deshalb könne man bei einem toten Fan nicht so tun, als sei nichts geschehen. Der italienische Polizeipräsident Antonio Manganelli hingegen bestand darauf, die Spiele unbedingt anzupfeifen. Schließlich beschloss man, nur die Spiele der beiden römischen Clubs abzusagen, die übrigen Partien aber mit einer zehnminütigen Trauerpause anzupfeifen.

So kam es, wie es die Sportfunktionäre befürchtet hatten: Fans und Hooligans – die Übergänge sind in Italien fließender als anderswo – empfanden die Entscheidung als Provokation; als Ausdruck dafür, dass ein toter Fußballfan nichts wert sei. In Mailand verbrüderten sich Anhänger von Inter und Lazio zu einem gemeinsamen Demonstrationszug, und in Bergamo – mit einer eher linken Fankurve, die den Lazio-Anhängern traditionell nicht freundlich gesonnen ist – begannen die Hooligans sofort nach dem Anpfiff zu randalieren. Sie machten sich daran, die Glasbarriere zum Spielfeld einzureißen. Den an den Zaun eilenden Spielern ihrer Mannschaft erklärten sie klipp und klar, es werde „Gravierendes“ passieren, wenn das Spiel nicht sofort abgebrochen werde. Das wollte der Schiedsrichter nicht riskieren. Nach sieben Minuten schickte er die Teams in die Kabine.

Zu Straßenschlachten kam es am Abend in Rom. Hunderte Fans des AS Rom fanden am Olympiastadion mit den Anhängern von Lazio zusammen. Eigentlich pflegen beide Gruppen eine tiefe Feindschaft. An diesem Abend aber ließen die Ultras Schals, Mützen und Fahnen mit den Farben ihrer Clubs zu Hause. Diesmal galt der Hass allein der Polizei. Sie errichteten Barrikaden rund ums Stadion, um bald darauf in die Offensive zu gehen. Zunächst versuchten sie, eine Polizeikaserne zu stürmen, setzten dabei mit einer Brandbombe einen Bus und mehrere Autos in Flammen. Dann zogen sie mit Latten, Stahlrohren und Pflastersteinen bewaffnet durch die umliegenden Viertel, von einem Polizeirevier zum nächsten, und stürmten schließlich den Sitz des Olympischen Komitees. Die Polizei hielt sich zurück.

Die Ausschreitungen bedeuten einen großen Rückschritt für den italienischen Fußball. Dabei war die Gewalt in der laufenden Saison um 80 Prozent zurückgegangen. Die drastischen Maßnahmen, die nach dem Tod des Polzisten beschlossen worden waren – namentliche Ausstellung der Eintrittkarten, Identitäts- und Taschenkontrollen, Überprüfung der Transparente nach rassistischen und gewaltverherrlichende Parolen –, schienen zu wirken. Doch unter den Hooligans ist die Stimmung weiter gefährlich aufgeladen. Da sind die rechtsextrem politisierten Fankurven etwa von Inter Mailand oder Lazio Rom; da sind aber auch jede Menge „unpolitischer“ Fans oder – wie im Falle von Livorno oder Bergamo – linke Hools.

Die Gewalt trägt dazu bei, dass sich viele Fans im Weltmeisterland immer mehr vom Profifußball abwenden. Es gibt viele Stadien, in die sich Familien mit Kindern kaum noch trauen. Das Übrige erledigen die Skandale: Im Sommer 2006 flog ein großes Netz von Vereinsbossen und Schiedsrichtern auf, das Juventus Turin und andere Clubs jahrelang dazu benutzten, die Spiele zu manipulieren. Die einen kommen gar nicht mehr ins Stadion, kündigen noch ihr Abonnement fürs Bezahlfernsehen, die anderen hingegen gehen ins Stadion, als zögen sie in den Krieg. In Rom, Mailand und in Turin geben die Ultras in der Kurve den Ton an, und während früher ironischer Spott für den Gegner die Sprüche und Transparente dominierte, ist es heute offener Hass – auf gegnerische Fans und auf die Polizei.

Gegen den Polizisten wurde ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eröffnet. Am Montag meldete sich zudem ein Zeuge, der gesehen haben will, wie der Polizist seine Waffe auf das Auto richtete. Sportministerin Giovanna Melandri jedenfalls will die Spiele des nächsten Wochenendes absagen. Vielleicht wird die Regierung Reisen von Fans zu Auswärtsspielen verbieten. Danach kann nur eins kommen: Zuschauer ganz auszuschließen.