In Gaza leeren sich die Regale

Seit der Schließung der Grenzen nach der Machtübernahme der Hamas werden die Waren knapp. Jetzt steht die Ernte bevor, aber exportiert werden kann nichts

„Wir hatten große Vorräte in unseren Lagern, aber die sind aufgebraucht“

GAZA taz ■ „Wir haben weder Geld, um uns Schmuck zu kaufen, noch Gold, das wir hier umsetzen könnten“, sagen zwei junge Frauen mit Kopftuch, die eingehakt durch die Gasse mit den kleinen Goldläden bummeln, gleich neben dem Gemüsemarkt im Zentrum von Gaza-Stadt. „Windowshoppen“ ist eines der neuen Hobbys, die im Gazastreifen seit Beginn der Belagerung im vergangenen Juni Konjunktur haben.

Majdi Mohammed Abu Asa ist seit Monaten arbeitslos. Er kommt trotzdem jeden Morgen in das Schmuckgeschäft, in dem er früher seinen Lebensunterhalt verdiente. „Wir vergeuden hier unsere Zeit“, sagt der 39-jährige Vater von zehn Kindern. „Das Geschäft ist tot.“ Bis zum Monatsanfang seien noch Leute gekommen, um ihren Goldschmuck zu verkaufen, „damit sie Geld für Brot haben“, aber auch das sei jetzt vorbei.

Zwischen 40 und 60 Euro kostet ein einfacher Ring. Alle bieten mehr oder weniger das gleiche Design zum gleichen Preis: Ohrringe, Kettchen und Anhänger, mal mit, mal ohne Stein. Die Vitrinen sind am helllichten Tag grell beleuchtet. Noch haben die Israelis ihre Drohung, Gaza den Strom abzustellen, nicht wahrgemacht. „Die Hamas soll zum Teufel gehen“, schimpft Majdi. Früher seien die Leute zufrieden gewesen, doch die neuen Machthaber „denken nicht an ihr Volk“. Vor allem Khaled Meschaal, der in Damaskus lebende Hamas-Politbürochef, zeige keinerlei Sympathie für seine notleidenden Landsleute. Die Leute in Gaza schimpfen aber auch auf Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der sich „nur um sich selbst und seine Fatah kümmert“.

Seit der Machtübernahme der Hamas sind die Grenzen für die Ausfuhr von Waren vollständig geschlossen. 80 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe, die Möbel, Kleidung und Landwirtschaftsprodukte über die Grenze lieferten, sind pleite. Hanan Taha, Direktorin des palästinensischen Handelsunternehmens Paltrade, rechnet mit „ein paar Monaten“, bis auch die letzten Unternehmen zur Aufgabe gezwungen sind. Mitte November beginnt die Erntesaison für Erdbeeren, Blumen und Cherrytomaten, „alles Produkte, die ausschließlich für den Export nach Europa gedacht sind“. Taha hofft, dass rechtzeitig eine Lösung gefunden wird. Problematisch ist für die privaten Unternehmen zudem, dass sie kaum noch Rohstoffe haben.

Aus Israel geliefert werden nur noch die Nahrungsmittelspenden, von denen über drei Viertel der Bevölkerung lebt, sowie Grundnahrungsmittel für den Kleinhandel und Medikamente. Vor der Machtübernahme der Hamas koordinierten die israelischen Grenzbeamten den Warentransport mit dem palästinensischen Präventiven Sicherheitsdienst. Die Tatsache, dass weder die Hamas noch Israel zur Zusammenarbeit bereit ist, erschwert die Transporte um ein Vielfaches. Wurden früher 9.137 verschiedene Produkte aus Israel geliefert, so sind es heute nur noch zwölf.

Die Metro, einer der größeren Supermärkte im Gazastreifen, erscheint auf den ersten Blick noch ganz gut bestückt. Erst als Khalil, der mit seinen Brüdern den Laden leitet, eine Shampooflasche hochhebt, zeigt sich, dass der Schein trügt. Hinter der ersten Reihe ist das Regal leer. Sämtliche Seifenprodukte, Windeln, Kartoffelchips, Kaffee, Cornflakes und Konserven stammen aus der Zeit vor dem Machtwechsel in Gaza. „Wir hatten große Vorräte in unseren Lagern“, sagt Khalil, „aber die sind inzwischen aufgebraucht.“ Mineralwasser, Cola und Salz gibt es jetzt schon nicht mehr.

In höchstens zwei Monaten, so schätzt der Kaufmann, wird er seiner Kundschaft kaum mehr anbieten können, als das, was noch geliefert wird: Milchprodukte, Zucker, Reis, Mehl, und auch das nur zu deutlich höheren Preisen. Ein Liter Milch kostet heute umgerechnet 1,30 Euro anstatt 80 Cent. Mehl ist fast doppelt so teuer wie Anfang Juni. Verderbliche Ware ist für den Händler immer mit dem Risiko behaftet, nicht rechtzeitig Absatz zu finden. Immer weniger Palästinenser verfügen über regelmäßige Einnahmen, von den Angestellten der Autonomiebehörde, für die in Gaza noch 50.000 Palästinenser arbeiten, und den UNRWA-Mitarbeitern (UN-Abteilung für palästinensische Flüchtlinge) abgesehen. Khalils Umsatz ist im Vergleich zum Frühsommer um 50 Prozent geschrumpft. SUSANNE KNAUL