„Ich fiel von unten nach oben“

Der Däne Knud Romer hat in seinem Roman „Wer blinzelt, hat Angst vorm Tod“ seine Kindheit als Sohn einer deutschen Mutter beschrieben und damit eine kontroverse Diskussion über den Deutschenhass in Dänemark ausgelöst. Nun ist Romer bei den Nordischen Literaturtagen in Hamburg zu Gast

KNUD ROMER, geboren 1960 als Sohn eines dänisch-deutschen Elternpaares, wuchs in dem Provinzstädtchen Nyköbing auf. Er arbeitete als Schauspieler und Werbetexter und debütierte als Schriftsteller mit dem kommerziell höchst erfolgreichen und viel diskutierten Roman „Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod“.

taz: Ihre Mutter ist Deutsche, und Sie sprechend fließend deutsch. Fühlen Sie sich überhaupt als Däne?

Knud Romer: Ich fühle nicht national. Solche Zuschreibungen sind für mich unsinnig, und sie lassen sich auch nicht halten. Das fängt schon an, wenn man nach Dänemark guckt: Dänemark – das ist entweder Norddeutschland oder Südschweden. Und was mich betrifft: Ich fühle mich einfach als Mensch und fühle mich eher durch kulturelle Werte verbrüdert als durch Nationalität.

Gerade die Themen Deutschland und Deutschenhass, die Sie in Ihrem Roman verarbeiten, haben Ihren Landsleuten ja nicht so gut gefallen.

Das kann man nicht pauschal sagen. Die Medien haben diese Debatte hochgespielt. Wenn man titelt „ein ganzer Landstrich steht unter Schock“, dann ist das ziemlich übertrieben. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass Teile der dänische Gesellschaft sehr akribisch darauf achten, dass keine Bäume in den Himmel wachsen. Will sagen: Als ich 70.000 Exemplare meines Romans verkauft und Preise bekam, wurde es einigen zu viel. Man drohte mir sogar, so viel Erfolg könne nicht ohne Strafe bleiben.

Die Kritik begann also erst mit dem Erfolg?

Ja. Ein weiteres Skandalon hat mit meiner Rolle zu tun: Ich bin in Dänemark als sarkastischer Werbetexter und Kulturkritiker bekannt, und alle dachten: Wenn Knud Romer einen Roman schreibt, wird er 500 Seiten Sarkasmen enthalten. Was kam, waren 178 Seiten Poesie über meine verstorbene Mutter, die als Literatur anerkannt wurden. Dadurch bin ich total aus dem Raster gefallen.

Und das störte die dänische Öffentlichkeit?

Nicht die Öffentlichkeit, aber jene Leute, die glauben, sie hätten die Hochkultur für sich gepachtet. Bei denen steht Beethoven ganz oben, Porno und Werbung ganz unten. Und ich fiel quasi von unten nach oben.

Aber es gab auch inhaltliche Kritik an Ihrem Buch.

Ja. Zunächst hat man es auf eine schlichte, eins zu eins aufgeschriebene Biographie reduziert. Dann hat man angefangen zu leugnen, dass es den Deutschenhass, den der Protagonist erlebt, in Dänemark je gab. Das war für mich eine echte Zumutung. Man versuchte hier gewisse Facetten nationaler Geschichte zu verdrängen, indem man ersatzweise einen Sündenbock verfolgte. Absurd.

Gibt es heute noch Deutschenhass in Dänemark?

Kann man nicht allgemein sagen. Es gab ihn lange, und er war sehr stark.

Gibt es ihn heute?

Teils. Andererseits habe ich während der Fußballweltmeisterschaft 2006 bemerkt, dass viele zu Deutschland hielten. Da habe ich gedacht, dass der Krieg endlich vorüber ist. Dass jetzt eine neue Generation in Dänemark aufwächst, die gern nach Berlin fährt und ihren Kneipen deutsche Namen gibt. Die Älteren allerdings schleppen schon noch Ressentiments mit sich herum.

Diese Älteren – welche Jahrgänge sind das?

Schwer zu sagen. Denn genau genommen hängen solche Dinge ja nicht nur mit der Generation, sondern auch mit der sozialen Schicht zusammen. Weniger gebildete, ressourcenschwache Menschen hegen eher Angst vor Fremden und agieren so ihre Frustration aus. Andererseits habe ich neulich in einer niveauvollen Zeitung folgenden Satz gelesen: „Die Schweden sind Deutsche, als Menschen verkleidet.“ Der Schreiber hat es vermutlich nicht einmal böse gemeint. Das ist ja das Erschreckende, dass solche Floskeln schon so eingebürgert sind, dass man es gar nicht mehr bemerkt.

Werden solche Phänomene in Dänemark diskutiert?

Nein, und das zu Recht. Denn es handelt sich um ein historisches Phänomen.

Aber Sie haben doch gerade ein aktuelles Beispiel zitiert.

Ja, aber solche Floskeln werden mit der Zeit verschwinden.

Wenn all das nicht aktuell ist: Warum hat Ihr Roman dann so scharfe Kritik ausgelöst?

Skandinavische Tristesse, Kapitalismus in Norwegen, skurrile Einzelgänger – darum wird es unter anderem gehen auf den Nordischen Literaturtagen, die vom 12. bis zum 16. November im Hamburger Literaturhaus stattfinden. Der Finne Mikko Rimminen etwa hat mit „Tütenbierroman“ einen skurrilen Ein-Tages-Roman verfasst, der sich als finnischer Trash bezeichnen ließe. Und während der Norweger Lars Mytting mit „Fyksens Tankstelle“ das sich kapitalisierende Norwegen sanft melancholisch beleuchtet, stürzt sich sein Landsmann Lars Saabye Christensen in „Nachtschatten“ komplett in die Tristesse: Sein Protagonist ist brutal, unberechenbar und androgyn zugleich. Was Island betrifft, haben die Organisatoren des Festivals zwei der populärsten und interessantesten Autoren gewählt: Einar Kárason erfreut schon seit Jahren mit seinen prallen Geschichten proletarischer, teils volltrunkener, dabei immer auch sensibler Familien. Kollege Jón Kalman Stéfansson spielt den poetischen Part. Sein Roman „Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit“ handelt von einem zehnjährigen Isländer, der bei der norwegischen Oma über die vielen Bäume staunt. Zum Abschluss des Festivals gibt’s finnischen Tango. PS

Das hat mich selbst überrascht. Ich dachte, der Deutschenhass der Sechziger sei Geschichte. Dass dessen Existenz dann so brutal geleugnet wurde, hat mich erschreckt. Ich dachte, warum könnt ihr nicht sagen: Ja, wir haben die Deutschen gehasst wie alle anderen Länder auch, aber jetzt ist damit Schluss.

Ist Ihr Buch auch als Abrechnung gedacht?

Nein, als Opfergeschichte, die auch eine allgemeine Dimension hat. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg war ganz Europa voller deutscher Flüchtlinge. Die saßen plötzlich in Ländern, in denen kurz zuvor noch deutsche Besatzungstruppen gewesen waren. Sie waren unerwünscht und mussten sich alles gefallen lassen. Ich habe geschaut, ob es Romane gibt, die sich mit diesem Ausgegrenztsein befassen, aber keine gefunden. Auch ich habe lange über meine Erfahrungen geschwiegen. Ich wusste, dass ich mich mit dem Thema unbeliebt machen würde. Andererseits hoffte ich, so mein Kindheitstrauma loszuwerden – nach dem Motto: Schau jetzt, als Erwachsener unter das Bett. Da ist gar keine Schlange. Was du empfandest, war die Angst des Kindes, die durch die Erwachsenen-Wirklichkeit nicht gedeckt ist.

Und dann waren da doch Schlangen.

Ja, und meine Todesangst – nicht umsonst heißt das Buch „Wer blinzelt, hat Angst vorm Tod“ – hat sich bestätigt. Auf symbolischer Ebene bin ich hingerichtet, an den Pranger gestellt worden. Und paradoxerweise hat man mich damit gemobbt, dass man mich als Kind angeblich nicht gemobbt hat.

Ist der Zweite Weltkrieg überhaupt Thema in der dänischen Öffentlichkeit und Literatur?

Die Diskussion wird sehr einseitig geführt, wie in Norwegen auch. Die Rolle der nordischen Länder während des Zweiten Weltkriegs war in der Tat ambivalent: Teils haben sie kollaboriert, teils war man im Widerstand, und nach dem Krieg waren die zuvor kriminalisierten Widerständler die Helden. Das alles verkompliziert die Diskussion, zumal viele Leute hier lieber ihre Gutmenschen-Identität behalten wollen.