Handball: HSV gewinnt in der Ostseehalle

Die Machtverhältnisse im Handball verschieben sich langsam: Der HSV Hamburg hat das Spitzenspiel der Bundesliga bei Meister THW Kiel mit 31:30 knapp gewonnen. Die Hamburger freuen sich trotzdem lieber verhalten

Handballweltmeister Pascal Hens misst stattliche 2,03 Meter, er ist ein Riese, und trotzdem hat er am Dienstagabend in der tosenden Ostseehalle den Überblick verloren. In den dramatischen Schlusssekunden des Bundesliga-Spiels beim THW Kiel war der Rückraumschütze des HSV Hamburg völlig ins Geschehen versunken – und begriff daher nicht, warum Mannschaftskollege Kyung-Shin Yoon nach dessen Gewaltwurf zum 31 : 30 gen eigenes Tor lief, anstatt zum Wechsel auf die Bank.

„Ich dachte, was macht der denn da?“, erzählte Hens hinterher. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er verstand. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass das Spiel ja schon vorbei ist“,sagte Hens. Ein Zeichen für die Intensität dieser Partie vor 10.250 Zuschauern. Natürlich hat sich Hens dann auch jubelnd auf den koreanischen Torschützen geworfen, so dass sich der Berg aus Leibern noch höher auftürmte. Dieser Sieg in Kiel sei traumhaft, sagte Hens später, schließlich sei der THW „die derzeit beste Mannschaft der Welt“.

„Historisch“ nannte HSV-Sportdirektor Christian Fitzeck diesen Auswärtstriumph beim amtierenden Champions League-Sieger, und auch HSV-Trainer Martin Schwalb war die Genugtuung anzusehen. „Das ist keine alltägliche Geschichte, hier zu gewinnen.“

Obwohl die Hamburger nach einem Drittel der Saison die wenigsten Verlustpunkte aufweisen, wollen sie sich den Schuh des Favoriten keineswegs anziehen. „Das hat gar nichts zu bedeuten“, stellte Johannes Bitter klar. Der blonde Torwart-Hüne hatte mit 20 Paraden, darunter vier Siebenmeter, den Kieler Torwart Thierry Omeyer klar übertrumpft war damit zum zweiten Matchwinner avanciert. Aber auch er beurteilte die neue Lage äußerst verhalten: „Wir haben noch sechs Monate vor uns. Wir wissen, worauf es jetzt ankommt. Wir müssen jetzt kühlen Kopf bewahren.“

Ein rauschendes Fest wurde also nicht gefeiert. Selbst Klubchef Andreas Rudolph, der zunächst wie Flummi durch die Ostseehalle gehüpft war, ließ sich keine euphorischen Statements entlocken. „Dieser Sieg ist nur dann historisch, wenn er am Ende der Saison den entscheidenden Vorsprung gibt.“

Diese betonte Zurückhaltung verblüfft nur auf den ersten Blick. Zwar ist das taktische Repertoire der Hamburger Handballer doch ungeheuer groß. In Kiel agierte das Team mit einer physisch enorm anstrengenden 3:3-Deckung, die den Kieler Rückraumschützen weitgehend aus dem Spiel nahm – nur THW-Superstar Karabatić kam mit seinen Gewaltwürfen durch, seinen neun Toren standen aber auch 14 Fehlversuche gegenüber. Im Angriff besitzt das Team mit den Weltmeistern Hens und Jansen sowie den Shootern Yoon und Lijewski ebenfalls außergewöhnlich viele Optionen.

Nach dem Sieg in Kiel dürfte das Selbstvertrauen die maximale Stufe erreicht haben. Finanziell steht der HSV längst mit Kiel auf einer Stufe. Warum also dieses Understatement, da sich die Verhältnisse im Handball scheinbar verschieben? Es ist die Gewissheit, dass auch die HSG Nordhorn und die SG Flensburg-Handewitt noch in Lauerposition liegen, die Kieler an diesem Tag nicht in Bestform waren – und in den letzten Jahren immer als Champions zurückkamen.

Schon einmal schien eine historische Wende gekommen, als nämlich die SG Flensburg-Handewitt im Jahr 2004 das Double gewann. Die Erfolge des Erzrivalen nahmen die Kieler als Anlass, ihre sportlichen wie finanziellen Anstrengungen noch einmal merklich zu erhöhen. Seitdem ist kein anderes Team Deutscher Meister geworden. ERIK EGGERS