Die Marke Taliban

GRUNDKURS In Afghanistan wird am Mittwoch über den weiteren Umgang mit den Taliban entschieden. Aber wer sind die heute? Sieben Fragen, sieben Antworten

■ Der Termin: Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat für den 16. November die Große Ratsversammlung in Kabul einberufen. Dort sollen über 2.000 Delegierte unter anderem darüber beraten, wie man in Zukunft mit den Taliban umgehen soll.

■ Die Geschichte: Die Loja Dschirga ist eine traditionelle Stammesversammlung. Ursprünglich nahmen nur Paschtunen teil, später wurden auch andere ethnische Gruppen einbezogen. Die Teilnehmer sind Stammes- oder Regionalführer, Politiker, Militärs, religiöse Führer und Mitglieder der Regierung. Einige Historiker vermuten, dass diese Tradition schon 1.000 Jahre alt ist.

AUS KABUL AGNES TANDLER

Wer sind die Taliban?

„Die Taliban“ gibt es nicht. Der Name steht für eine ganze Reihe aufständischer Guerillagruppen in Afghanistan und Pakistan, die nur lose miteinander verbunden sind. Die einflussreichsten Fraktionen sind die Quetta Schura, die Haqqanis und die pakistanischen Taliban.

Aus was für Gruppierungen bestehen sie?

Die Quetta Schura mit ihrem Anführer Mullah Omar ist eine Art Exilregierung. Sie besteht vor allem aus Mitgliedern des berüchtigten Taliban-Regimes, das zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan herrschte. Nach dem Sturz des Regimes 2001 flohen die wichtigsten Führer der Bewegung in die pakistanische Stadt Quetta, wo die Schura auch heute noch sitzen soll. Die Gruppe selbst nennt sich Islamisches Emirat Afghanistan.

Das Haqqani-Netzwerk operiert im schwer zugänglichen Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Der Anführer Dschalaluddin Haqqani verdiente sich seine Sporen als „Gotteskrieger“ oder Mudschaheddin gegen die sowjetischen Truppen in den 1980er Jahren. Dschalaluddin verbündete sich schon Mitte der 90er Jahre mit Taliban-Führer Mullah Omar. Die Gruppe hat ihre Machtbasis zwar vor allem im Osten Afghanistans, doch gehen zahlreiche spektakuläre Anschläge in der Hauptstadt Kabul und in anderen Landesteilen auf ihr Konto.

Die pakistanischen Taliban sind eine Art Dachverband von einem guten Dutzend islamistischer Gruppen, die in Pakistans Grenzgebiet zu Afghanistan kämpfen. Die Organisation besteht seit Ende 2007. Sie hat eine ganze Kette schwerer Anschläge in Pakistan verübt und greift immer wieder Nato-Versorgungstransporte auf ihrem Weg durch Pakistan nach Afghanistan an.

Woher kommen die Taliban?

Talib bedeutet so viel wie Schüler oder Student in Arabisch und in Paschtu, der Muttersprache der meisten Taliban. Die Bewegung begann in radikalen Koranschulen in Pakistan, in der afghanische Flüchtlinge unterrichtet wurden, die nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen ihre Heimat verlassen hatten. Taliban-Chef Mullah Omar selbst ist ein ehemaliger Prediger. Mit seiner Gruppe junger, fanatischer Krieger kämpfte er gegen die Rote Armee in Afghanistan. Die Taliban übernahmen 1996 die Macht in Kabul und nahmen auch Al-Qaida-Chef Osama bin Laden auf. Fünf Jahre später wurde das Regime von US-gestützten Truppen gestürzt.

Wie haben sich die Taliban in den letzten zehn Jahren verändert?

Ende 2001 schien die Bewegung restlos besiegt und ausgelöscht. Doch die Aufständischen Taliban-Kämpfer, die über die Grenze nach Pakistan geflohen waren, gruppierten sich neu und nutzen die Sicherheit in ihrem Rückzugsgebiet, um zu einer erfolgreichen Guerillabewegung zu werden, die inzwischen in zwei Ländern operiert. Es ist ein wenig wie beim Katz-und-Maus-Spiel „Tom und Jerry“. Die Taliban nutzen einfache, aber wirkungsvolle Methoden, um einen finanziell, militärisch und materiell haushoch überlegenen Feind immer wieder auszutricksen.

Welche Ziele verfolgen sie?

Die Taliban kämpfen für ein streng islamisches Afghanistan und Pakistan – frei von westlichen Einflüssen. Sie wollen eine besonders harsche Form der Scharia, des islamischen Rechtscodes, einführen und die Verfassung, Gesetzbücher und bestehende Gerichte abschaffen. Neben Afghanistan und Pakistan nehmen die Taliban auch Zentralasien ins Visier, wo sie ebenfalls hoffen, Einfluss zu gewinnen, besonders in Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan.

Von wem werden sie unterstützt?

Viele Afghanen beschuldigen Pakistans Geheimdienst ISI, die Taliban finanziell und logistisch zu unterstützen. Auch die USA vertreten inzwischen offen diese Meinung. Pakistan bestreitet dies vehement, gesteht jedoch ein, dass es Kontakt zu einigen aufständischen Gruppen pflegt. Sicher ist, dass Friedensverhandlungen mit den Taliban ohne die Unterstützung Pakistans kaum Erfolg haben werden. Doch neben Pakistan mischen auch andere Länder im Spiel der Mächte in Afghanistan mit: So soll auch der Iran begrenzt Hilfe für die Aufständischen leisten. Auch das Terrornetzwerk al-Qaida unterstützte über lange Zeit hinweg die Guerillakämpfer. Wie groß ihr Einfluss auf die Taliban noch ist, ist schwer abzuschätzen.

Wie stark sind sie?

Für konservative Afghanen im Süden des Landes sind die Taliban-Kämpfer die Verteidiger des Islam, die Afghanistan von ausländischen Invasoren befreien wollen. Doch vielen anderen in Afghanistan sind die Taliban verhasst, weil man sich noch zu gut an ihre Schreckensherrschaft erinnert. Der Unmut über die schwache und extrem korrupte Karsai-Regierung in Kabul und die immer schlechter werdende Sicherheitslage sind jedoch Wasser auf die Mühlen der Aufständischen. Viele Afghanen positionieren sich inzwischen für die Zeit nach dem Abzug der Nato und versuchen, sich alle Optionen offenzuhalten, auch zu den Taliban. Die Taliban sind keine straff organisierte Organisation unter einem einheitlichen Kommando, wie ein Militärverband, sondern gleichen eher einem Franchise-Unternehmen, das die Marke und die Ideologie stellt, doch das Tagesgeschäft und die Verantwortung für Operationen den Kräften vor Ort überlässt. Die Bewegung ist so enorm flexibel und kann sich schnell auf neue Entwicklungen einstellen. Zwar ist es der Nato in den letzten Monaten gelungen, die Taliban in Teilen des Landes wieder zurückzudrängen, doch ein dauerhafter Erfolg gegen die Aufständischen scheint in weiter Ferne, gerade vor dem Hintergrund, dass Ende 2014 die letzten Kampftruppen das Land verlassen haben sollen.