WAS DIE FREUNDE AUF FACEBOOK ÜBER MICH SAGTEN
: Der Untergang des Abendlandes

VON ULRICH GUTMAIR

NEUE WERTE

Ich bin nicht auf Facebook. Wenn mich Leute fragen, warum nicht, antworte ich mit dem Standardsatz, dass ich unbezahlte Arbeit grundsätzlich ablehne. Das ist ein Satz wie ein preemptive strike, da wächst nicht Grünes mehr. Er wird daher in der Regel mit einem leicht peinlich berührten Schweigen quittiert, so dass der Nachsatz nie ausgesprochen werden muss: Und schon gar nicht, wenn es sich um Stuckateursarbeiten an der eigenen Subjektivität handelt.

Facebook ist mir eigentlich egal. Ich habe bloß keine Lust auf den damit verbundenen Nerv. Ich sage das mit der unbezahlten Arbeit auch nur, weil ich es mir grade leisten kann. Schließlich bin ich angestellter Redakteur eines angesehenen Printmediums und demnach nicht darauf angewiesen, mich auf den Aufmerksamkeitsmärkten zu verdingen. Ich gebe zu, das ist Luxus, Aristokratismus, elitär. Aber: Andere Leute fahren SUVs, das finde ich rischtisch asozial.

Letztens blickte ich meiner Frau über die Schulter. Sie deutete auf das Bild eines ihrer Facebookfreunde und sagte: Schau mal! Es war ein super Foto meines Freundes Aram. Er stand mitten in seiner Fußballmannschaft im Stadion und hatte ein Trikot an. Ich sagte: Super Foto! Dann fuhr ich ins Büro. Während ich die Krausnickstraße entlangradelte, die Monbijoubrücke überquerte, an Angelas Häuschen vorbeiflitzte, den Bebelplatz überquerte und auf der Zielgeraden der Charlottenstraße nochmal tüchtig beschleunigte, spielte sich auf Facebook folgender Dialog ab:

Meine Frau: Super Bild, sagt Ulrich.

Aram: Was Ulrich sagt, stimmt immer.

MF: Und fängt oft mit super an. Er ist halt sehr positiv.

A: Und hört mit sauber auf. Er ist halt auch sehr bayerisch.

MF: Nur Facebook findet er nicht super und sauber.

A: Als ich Ulrich 1998 kennenlernte, war er für mich Cyber-Ulrich. Seitdem gings bergab. Jetzt ist er ein klassischer Kulturpessimist. Nur zwei Schritte von Botho Strauß entfernt.

Es ist in der Tat so, dass meine E-Mail-Adresse aus einer Zeit stammt, als die meisten noch nicht mal wussten, was IRC, Gopher und Lynx sind. 1993 kaufte ich mir ein Modem, stöpselte es in meinen analogen Telefonanschluss und navigierte mittels einiger schnell angelernter Unixbefehle zu meiner Mailbox bei der Zedat. Und das, obwohl ich nicht gerne bastle und Mathe in der 12. Klasse abwählte, ohne zu ahnen, dass ich stattdessen in Physik Relativitätstheorie würde lernen müssen, was auch nicht ging. Kurz darauf schrieb ich die vermutlich erste Internetkolumne Deutschlands (auf ebendieser Seite hier!), studierte net.art und sendete im Kollektiv Radio ins Netz.

Das war früher. Jetzt kam ich im Büro an und fand einen Screenshot in meiner Mailbox, der die obigen Kommentare, also den Untergang des Abendlandes dokumentierte. Nix gegen Ironie. Aber erstens klappt das nie im Netz, und zweitens wurde hier nun wirklich alles auf den Kopf gestellt. Aram und meine Frau, diese Poweruser, hatten offensichtlich gar keine Checkung von dem Medium, in dem sie vor einem Millionenpublikum über mich talkten und sich selber outeten, aber zugleich einen auf digitale dicke Hose machten. Ich mailte sogleich Aram, wobei ich nur das Subject nutzte und den Body leer ließ: Jetzt bin ich beleidigt! Die konsternierte Antwort: Wieso? Weil wir dich nicht zu Weihnachten eingeladen haben?

Ich (anklagend): Zwei Schritte von Botho Strauß!

Er (versöhnlich): Bei mir ist es ein Wimpernschlag! PS: Deine Frau, die alte Petze!

Ich (deklamierend): Aram, Facebook lesen doch nicht nur deine Freunde. Strukturwandel der Öffentlichkeit! Intimität und Breitband! Lass dir das mal von Cyberuli erklären.

Er (gerührt): Endlich, Cyber-Ulrich ist wieder da!

Ich (abwehrend): Nee, der wohnt hier nicht mehr.

Er (dialektisch): Wo Ulrich nicht ist, ist er am besten aufgehoben.

Da soll noch mal einer sagen, in der elektronischen Kommunikation verkümmere das Soziale. Entfaltete sich doch vor meinen Augen ein Austausch der Black Boxes, das Genie der ortlosen Freundschaft, die Philosophie der glücklichen Entfremdung: Ick jeh raus und blicke. Un wer steht draußen? Icke.

Ist also nun alles Friede, Freude, Eierkuchen? Zwischen Aram, meiner Frau und mir schon. Dumm bloß, dass ich schon mit drinhänge beim Zuckerberg. Dabei hab ich mich noch nicht mal angemeldet.