Die Suche nach der Traumblattblume

Kinder und Jugendliche aus dem Lübecker Problemstadtteil Moisling haben gemeinsam ein Musical erarbeitet. Nils-Holger Schomanns gelungene Dokumentation über Viertel und Projekt zeigen jetzt die Nordischen Filmtage

Seit „Rhythm Is It“, der Berliner Aufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mit Kindern und Jugendlichen, sind solche Projekte offenbar in Mode: In Buxtehude machte die ganze Stadt eine Oper, auch das Schauspielhaus Hamburg eröffnete seine Spielzeit mit einer Schüleraufführung. In Moisling, einem so genannten Problemstadtteil von Lübeck, wurde ein Musical erarbeitet: „Traumblattblume“. Nils-Holger Schomann, der 20 Jahre für den NDR gearbeitet hat und mittlerweile die Produktionsfirma „Doku Docks“ betreibt, hat darüber einen Film gedreht: „Zeig mir den Weg“.

Im damals noch eigenständigen Moisling ließen sich 1656 die ersten Juden nieder, die in Lübeck kein Aufenthaltsrecht bekamen. In den 1960er Jahren wurden hier die ersten Wohnblocks hochgezogen. Von den heute etwa 12.000 Einwohnern Moislings sind ein Viertel Migranten, fast genauso viele ohne Arbeit.

Betreut von den Musikern Volker Wallenski und Christian Rohlf haben Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil ein Jahr lang an einem Musical gearbeitet. Die Texte, die sie gemeinsam mit Wallenski und Rohlf geschrieben haben, handeln von ihren Problemen: von Gewalt, Geldmangel und beengten Wohnverhältnissen, von Drogenproblemen oder Eltern, die selbst fast noch Kinder sind. Der Titel „Traumblattblume“ lässt einen an die „Blaue Blume“ des Romantikers Novalis denken, die die stumm gewordenen Dinge, Tiere und Pflanzen wieder sprechen macht. In diesem Sinne macht das Musical den Stadtteil sprechen, gibt seinen Kindern eine Stimme. Es sei jetzt, sagt im Film ein Mädchen, „als wenn man etwas Besonderes ist in der Stadt“.

Schomanns Film vermittelt einen Eindruck davon, wie die Beteiligten lernen, im Team zu arbeiten. Dabei gab es durchaus auch Probleme in der Gruppe: Mal wurde ein Handy geklaut, mal drohte ein Mädchen aus Liebeskummer in die Trave zu steigen. Aber die Gruppe hat eben auch gelernt, Probleme als gemeinsame anzugehen – nicht, indem man schimpft und prügelt, wie es in dem von Eingesessenen „Klein-Chicago“ genannten Statteil so oft der Fall ist.

Glücklicherweise die Ausnahme bleibt die gelegentlich sich einschleichende, reichlich didaktische Ebene. Die Balance zwischen der Vorstellung des Stadtteils mit seinen Problemen und dem darin gewachsenen Musical mit seinen Chancen ist gelungen: Kamerafahrten, die eine Ästhetik auch des Vorstädtischen entdecken, wechseln sich ab mit Einstellungen, die sich der Gruppe nähern: Was für tolle Menschen das doch sind, wenn auch hinter einer harten Schale.

Wobei nichts beschönigt wird: Siebenmal binnen eines Jahres ist in Moislings Jugend- und Freizeitzentrum eingebrochen worden; Computer wurden gestohlen. Ein ehemaliger Polizist, der hier Karate-Unterricht gibt, weiß nicht, ob die Regel eingehalten wird, sich damit nur zu verteidigen. Auch das zeigt der Film und Momente, wo ein Probentag mal „einfach scheiße“ gelaufen ist; wo gespielte Gewalt wieder ins Ernste zu kippen droht.

Das Fazit, das der Film zieht: „Die Kinder haben ihre Themen benannt und gezeigt, was sie können“, spricht es aus dem Off und fordert: „Nun ist es an den Erwachsenen, ihnen diesen Weg zu ebnen.“ Projekt und Film darüber machen auf eine schöne Art eines klar: Dass Kinder und Jugendliche mit oft schwierigem Hintergrund Wege beschreiten können, die ihnen eröffnet werden. Und vielleicht sogar: Dass Kultur Menschen tatsächlich helfen kann. HANNES LEUSCHNER

weitere Vorstellungen: 6. + 7. 11., Kommunales Kino Lübeck, Mengstraße 45