„Blauhelme in die Ukraine“

KRIEG „Bosnien kann als Vorbild für eine Lösung in der Ostukraine dienen“, sagt Friedensforscher Hans-Joachim Spanger

■ ist Politikwissenschaftler arbeitet seit 1980 für die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Er ist Mitglied des Vorstands und Programmbereichsleiter und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Ukraine und Russland.

INTERVIEW INES KAPPERT

taz: Herr Spanger, am Wochenende gingen die Kämpfe in der Ukraine weiter – aber es wurden auch Gefangene ausgetauscht. Ist man einem Frieden wieder näher gekommen?

Hans-Joachim Spanger: Kaum. Das Gleiche passierte auch nach dem ersten Minsker Abkommen. Der Gefangenenaustausch verlief relativ unproblematisch und in mehreren Etappen bis einschließlich Dezember letzten Jahres. Doch parallel dazu wurde weitergekämpft.

Minsk II funktioniert gar nicht?

Kaum. Denn es löst den Konflikt nicht, sondern bietet im Unterschied zu Minsk I nur einen Fahrplan an. Auf diese Weise kann der Konflikt noch nicht einmal eingefroren werden, sondern es gibt nur eine Kampfpause. Leider ist das für einen Bürgerkrieg typisch.

Andere Experten sagen, dass Russland verdeckt Krieg führte, es sich also um einen hybriden Krieg handele. Warum sprechen Sie von Bürgerkrieg?

Weil die Menschen, die in diesen „Volksrepubliken“ leben, sich laut Augenzeugenberichten ganz überwiegend auf die russische Seite gestellt haben. Das heißt nicht, dass nicht auch externe Mächte in diesen Konflikt intervenieren würden.

Es gibt mindestens 600.000 ukrainische Flüchtlinge. Man könnte auch sagen, wer jetzt noch in der Ostukraine lebt, ist eben prorussisch. Eine prorussische Parteinahme muss also nicht der Auslöser für den Krieg gewesen sein.

Ausgelöst haben den Krieg zwei Dinge: Erstens haben alle möglichen schrägen Gestalten aus der Ostukraine, angestachelt von und gemeinsam mit sogenannten Patrioten aus Russland, durch die Besetzung der Verwaltungsgebäude im Donbass Russland zur Solidarisierung und den Kreml zur Anwendung des Krim-Szenarios veranlassen wollen. Zweitens war der ukrainische Staat auf der Krim und in der Ostukraine unfähig, sich diesen zunächst relativ kleinen bewaffneten Aktionen entgegenzustellen. Die Polizei etwa lief über oder verschwand. Janukowitsch hat schlicht einen gescheiterten Staat hinterlassen.

Russland lässt sich doch nicht in etwas hineinzwingen, das seinen Interessen zuwiderläuft.

Russlands Interesse zielen auf die Ukraine insgesamt. Es benutzt den Donbass nur als Hebel, um Einfluss auf die ukrainische Innen- und Außenpolitik zu nehmen und etwa bei der kommenden Verfassungsreform mitreden zu können.

Ein klar imperialistischer Ansatz. Macht es Sinn, immer noch von einem Bürgerkrieg zu sprechen? Mindestens inzwischen ist Russland doch Kriegspartei.

Mit den militärischen Erfolgen der von Russland unterstützten Separatisten wächst natürlich der Appetit auf weitere Eroberungen. Doch wenn Russland wollte, wäre es in 4 Tagen in Kiew. Das allerdings ist politisch bis auf Weiteres zu kostspielig.

Weil die Nato dann eingriffe?

Das nun ist schwer vorstellbar. Eine direkte militärische Konfrontation mit Russland würde den Atomkrieg bedeuten. Das Problem ist doch: Putin agiert aus einer militärischen Position der Stärke heraus. Er kann den Hahn auf- und zudrehen, wie es ihm passt.

Weshalb viele sagen, dass die Sanktionen verschärft werden müssten und der Westen vor allem kein russisches Öl mehr kaufen dürfe.

Russisches Öl muss man in der Tat nicht kaufen, das bekommt man auch auf dem Weltmarkt. Doch vom russischen Gas sind wir bislang abhängig. Der Westen sollte in einer Doppelstrategie die wirtschaftlichen Sanktionen verstärken und zeitgleich diplomatische Auswege anbieten.

Bislang wurden zu wenige, für Russland attraktive Angebote gemacht?

Sie sind zumindest nicht durchbuchstabiert worden. Man ist auf der Ebene der Signale stehengeblieben. Außenminister Steinmeier etwa signalisierte, dass man, wie von Russland gefordert, offizielle Beziehungen zwischen der Eurasischen Union und der EU aufnehmen könnte. Ebenso wurde im Rahmen des Assoziierungsabkommens EU/Ukraine der wirtschaftlichen Teil für ein Jahr ausgesetzt, um mit Russland über seine Wirtschaftsinteressen zu verhandeln.

Das ist sinnvoll?

Unbedingt!

Andere argumentieren, dass jedes Entgegenkommen de facto eine Bedrohung der baltischen Staaten bedeute. Die wären dann die nächsten Opfer des russischen Imperialismus.

Das ist doch wohlfeil! Solange man keine militärische Option hat, muss man einen Kompromiss aushandeln. Die baltischen Staaten sind zudem Nato-Mitglied, während die Ukraine sich in einer Grauzone befindet, so dass es jetzt zu einer Integrationskonkurrenz kommt.

Apropos Kompromiss aushandeln: Der Europaexperte Stefan Lehne geht davon aus, dass die EU-Außenpolitik darunter leide, dass sie mehr und mehr von den vor allem innenpolitisch versierten Kanzlern oder Präsidenten gemacht werde und nicht mehr von kompetenten Außenpolitikern. Trifft das auf die Ukraine zu?

Auf russisches Öl kann Deutschland verzichten, aber nicht aufs Gas. Daher müssen Putin auch Angebote gemacht werden

Nein. Dass Angela Merkel und François Hollande übernommen haben, ist dem Ausmaß der Krise angemessen. Die Vorbereitungen für Minsk liefen ja weiter maßgeblich über den deutschen Staatssekretär Ederer in Deutschland und sein Pendant in Frankreich.

Wird der Krieg noch lange andauern?

Das ist zu befürchten, denn allein der Stabilisierungsprozess innerhalb der Ukraine ist eine Herkulesaufgabe. Weshalb es für Moskau attraktiv bleiben dürfte, sich dort weiter destruktiv einzumischen. Und ich glaube nicht, dass Minsk II tatsächlich den Weg aus dem bewaffneten Konflikt weist.

Was würde funktionieren?

Wir brauchen eine Blauhelmtruppe mit einem robusten UN-Mandat und einer internationalen Verwaltung in diesem Territorium, wie etwa damals auf dem Balkan in Bosnien. Daran müssen die Russen beteiligt werden, in kleinstmöglichem Maße.

Eine russische Beteiligung ist für die Ukraine inakzeptabel.

Es ist aber die einzige Chance, den Krieg zu beenden. Nur so kann man die Konfliktparteien zwingen, sich wie in Dayton 1995 einer dreiwöchigen Klausur zu unterziehen und die Details für einen Frieden auszuarbeiten.

Der, wie von Russland gefordert, auf einem „Föderalismus“ basiert?

Das wird sich nicht vermeiden lassen.