Schnüffeln aus Fürsorge

TROJANER 3 Lehrer arbeiten auf dem schmalen Grat zwischen Über- und Unterforderung. Das zeigt die Kontrollsoftware von Kultusministern und Schulbuchverlagen. Sie soll LehrerInnen helfen, Disziplinarmaßnahmen zu vermeiden

■ ist Förderschullehrerin und Theaterpädagogin in Kiel.

VON SYLVA BRIT JÜRGENSEN

Lieben Sie das Risiko? Arbeiten Sie gern selbständig? Gehen Sie gern über Grenzen? Möchten Sie nachhaltig die Welt verändern und in Bildung investieren? Wollen Sie einen sicheren Arbeitsplatz? Genießen Sie das Gefühl von Überforderung mit gleichzeitiger Unterforderung?

Dann ist der Lehrerberuf genau das Richtige für Sie. Hier können Sie Ihre widersprüchlichsten Träume verwirklichen. Der Pirat im Trockendock!

1. In erster Linie müssen Sie sich mit Qualitätssicherung Ihres Unterrichts beschäftigen. Kein Problem, denn sicher ist sicher. Schließlich dürfen Sie Ihren privaten PC für Unterrichts- und Schulzwecke nutzen – natürlich nur, nachdem Sie dem Datenschutzbeauftragten freigestellt haben, ihren PC zu überprüfen. Das tun Sie gern, denn Sie sind ja keine Privatperson, sondern Diener des Staates. Und so wie Mutter am Samstag guckt, ob das Zimmer aufgeräumt ist, wird Vater Staat wohl bei Ihnen im digitalen Kämmerlein auch einmal schauen dürfen, ob alles in Ordnung ist. Schließlich gibt’s ja auch ein kleines Taschengeld.

2. Davon bezahlen Sie als engagierter Lehrer sicherlich auch gern Ihre eigenen Kopiervorlagen, die Sie in zehn Regalmetern in Ihrem Arbeitszimmer fein nach Fächern und Klassenstufen sortiert haben. Die Lehrerbücherei Ihrer Schule besteht gern aus zwei bis drei Regalen fragwürdiger Ordnersammlungen, denen Beuys’scher Kunstcharakter anmutet, Fettflecken inklusive. Doch das Gefühl, in die deutsche Bildung investiert zu haben, trägt Sie in den Kopierraum und multipliziert sich von dort in die Lernhäuser der Zukunft.

■ … war das Blogthema der letzten Tage. Und wird es bleiben. Egal ob der Trojaner im strengen Sinne einer ist, der sich in Rechner von Schulen und Lehrern hineinfressen kann – datenschutzrechtlich bleibt die Chose fragwürdig. Irgendwie muss die Plagiatssoftware ja feststellen, ob das, was sie gerade filzt, urheberrechtlich Geschütztes aus Schulbüchern ist – oder private Notizen oder gar Noten. Für das neue Lernen ist aber wichtiger: Kann der Trojaner den Leitmedienwechsel weg vom Schulbuch stoppen? Drei LehrerInnen-Blogger diskutieren darüber. Derweil können die LeserInnen die Frage beantworten, ob der „Faust“-Rap zweier Gymnasiasten eine Urheberrechtsverletzung ist. Schüler zeigen, wie man aus einem (alten) Buch (lebendiges) Lernmaterial machen kann, online verfügbar. (cif)

■ www.herrlarbig.de

3. Wer von Ihnen ressourcenorientierter vorgeht, Punkt 1 und 2 umgeht und Schule neu als Lern- und Lebensort denkt, der wird sicherlich die dort vorhandenen PC-Arbeitsplätze nutzen. Sie lernen jetzt, dass Ihre obersten Vorgesetzten in der Kultusministerkonferenz (KMK) Ihnen auch hier maximale Sicherheit bieten – bei maximalem Risiko.

Ja, sicher, eigentlich steht die Inklusion vor der Tür. Damit stehen neue Lernmethoden an. Sie bilden sich fort in Lernbuffets, offenem Unterricht, möchten jedes Kind nach seiner Zone der nächsten Entwicklung fördern, ihm Angebote zur Potenzialentwicklung und Kompetenzerweiterung machen. Dafür benötigen Sie Material. Viel Material. Unendlich viel Material!

So arbeiten Sie selbständig und hingebungsvoll an der Herstellung von Unterrichtsmaterial zur Binnendifferenzierung und erproben sich dabei in der Handhabung neuer Medien durch Veränderung von Vorlagen der Schulbuchverlage. Dabei denken Sie mit ungutem Gefühl an die 20-Prozent-Klausel! In Ihrem Herzen keimt der Verdacht, dass die KMK es in ihrer hidden agenda womöglich gar nicht möchte, dass Sie individuell fördern können. Sie möchte Sie durch einen Schultrojaner darauf hinweisen, wie Sie urheberrechtlich auf der sicheren Seite stehen und sich kein Disziplinarverfahren anbahnt. Wie freundlich, wahre Fürsorgepflicht!