Updates eines Feudalsystems

Ein Ausflug zu Preußens Glanz und Gloria: Die Ausstellung zur Geschichte der königlich-preußischen Eisengießereien im Ephraim-Palais spricht von der Erfindung einer Metropole und der Moderne

Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Vom Tretboot aus lässt sich der Zenit einer Ära besichtigen. Die 1913 errichtete Villa Borsig auf der Halbinsel Reiherwerder im Tegeler See, gebaut von einem, der Eisen zu Gold geschmiedet hatte. Oder zumindest mit Eisen reich geworden war.

Zwar sind es die Bahnhöfe und Fabrikationshallen, auch und gerade in Berlin, die bald als Kathedralen des Industriezeitalters gefeiert wurden: Die AEG-Turbinenhalle von Peters Behrens in der Huttenstraße in Moabit. Oder der Anhalter Bahnhof, diese 34 Meter hohe, freitragende Eisenkonstruktion, bei ihrer Einweihung 1880 die größte Bahnhofshalle auf dem europäischen Kontinent. Die Lokomotiven von August und Arnold Borsig fuhren dort ein und aus. Aber auch die im Wortsinne mondänen Unternehmervillen des Berliner Industriefrühlings verraten viel von dem, was auch die Ausstellung „Eiserne Zeiten – Ein Kapitel Berliner Industriegeschichte“ zwischen Zeilen und Exponaten erzählt.

Sie spricht von der Erfindung einer Metropole und mithin von der Erfindung der Moderne. Und sie berichtet in knapp 1.000 Exponaten von den letzten und letzten Endes vergeblichen Updates eines Feudalsystems.

Denn bereits 1918 war die deutsche Industriemonarchie, am Ende eines ersten industrialisierten Krieges, Geschichte geworden. „Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr“ hieß es noch in den letzten Kriegstagen. Privates Gold wurde gegen bald wertloses Papiergeld an die Reichsbank verkauft, um damit die Hochöfen der Waffen- und Munitionsfabriken am Laufen zu halten. Eisen hatte immer Konjunktur, in Zeiten der Prosperität und mehr noch in Zeiten der Zerstörung.

Doch zunächst einmal sind die „Eisernen Zeiten“ im zur Stiftung Stadtmuseum gehörenden Ephraim-Palais eine ganz und gar feudale Angelegenheit. Sie sind ein Ausflug zu Preußens Glanz und Gloria. Buchstäbliche Verortung der Ausstellung sind dabei die drei königlich-preußischen Eisengießereien in Berlin, im rheinischen Sayn bei Koblenz und in Gleiwitz, dem heutigen Gliwice. Von diesen Orten der Produktion aus begibt sich die Schau zu den produzierten Dingen.

Zum tonnenschweren Schwungrad einer Dampfmaschine, die bis in die 1880er-Jahre in der „Kunst- und Federfärberei A. Meilicke“ in Berlin rotierte. Zu den filigranen Armreifen und Colliers aus sogenanntem Fer de Berlin, wie sie in der Eisenschmuckausstellung im Erdgeschoss des Museumsbaus im Nikolaiviertel gezeigt werden. Daneben Alltagsmaterialien, Küchenwaagen, Heizkörper, Briefbeschwerer, ein gusseiserner Fleischwolf für Berliner Buletten. Im dritten Geschoss dann steht bürgerliches Blechspielzeug all zu bieder in den Vitrinen.

Mit der Litfaßsäule, der Gaslaterne und auch der preußischen Pickelhaube hatten es typisch berlinische Eisenartikel ja bereits vor 1900 zu einschlägigen Motiven in Satiren, Karikaturen und Genrebildern gebracht. Und bei aller physisch greifbaren Präsenz, den die Ausstellung solch altem Eisen einräumt, ist es eben gerade die immer wieder angedeutete Metaphorik eines Materials, in der die Relevanz der Schau liegt. Stadtentwicklung, gesellschaftliche Transformationsprozesse, die Disziplinierung des urbanen Organismus, das Werden und die Kämpfe einer Nation, „Eiserne Zeiten“, überall.

So dokumentiert ein fortschrittstrunkenes Gemälde aus dem ganz frühen 20. Jahrhundert eben nicht nur die rasante Motorisierung der Stadt, die Hoch- und Untergrundbahnen, die rauchenden Fabriken und die dampfenden Schiffe. Es verbildlicht genauso den zunehmend rationalisierten und reglementierten Alltag der Menschen: „Überschreiten der Gleise verboten“ ist in roten Lettern auf dem Bahnsteig zu lesen. Die „eiserne Stadt“ verlangt nach eiserner Disziplin. Eisen wird, geschmiedet zu Zäunen, Verbotsschildern und Gitterstäben, auch zu einer ordnenden Materie. Am innigsten vielleicht vereinen sich konkretes Eisenoxyd und eiserne Metaphorik im Kreuzbergdenkmal, dem größten Monument, das die Berliner Königliche Eisengießerei in der Zeit ihres Bestehens angefertigt hat. Die Geschichte dieses Denkmals, das dem im ausgehenden 19. Jahrhundert neu geschaffenen Bezirk Kreuzberg zum Namensgeber werden sollte, wird in der Ausstellung eindrücklich vorgeführt. Frühe Skizzen, zeitgenössische Stiche und natürlich jenes „Eiserne Kreuz“, welches den Grundriss des neogotischen Denkmals bildet. Karl Friedrich Schinkel hatte beide entworfen, den Soldatenorden und das Kreuzbergmonument. Symbolisch, allzu symbolisch stehen sie für den Sieg über Napoleon. Und sie stehen am Anfang jener allegorischen Durchhalteparolen, die fortan aus dem Wörtchen Eisen geschmiedet wurden.

Eiserner Wille, eiserne Reserve, Blut und Eisen. Die Ausstellung spielt mit solchen Begriffen. Und bleibt doch in ihrem soliden Kern eine kulgturhistorische Rückschau, ein braves Stück Regionalgeschichte. „Eiserne Zeiten“ ist keine Diskursrevue. Adornos „Fun ist ein Stahlbad“ sucht man so vergebens wie die Frage nach der Präsenz solch stählerner Mythen etwa in der inszenierten Körperlichkeit bestimmter Popkulturen in der postindustriellen Gegenwart. Die Relevanz eines Materials immerhin, sie wird auch so signifikant erfahrbar. Es ist das Material einer Stadt.

Bis 2. März 2008: „Eiserne Zeiten – Ein Kapitel Berliner Industriegeschichte“. Ausstellung zur Geschichte der drei königlich-preußischen Eisengießereien in Sayn, Gleiwitz und Berlin, Ephraim-Palais, Poststr. 16, 10178 Berlin-Mitte