„Sparen alleine reicht nicht“

ITALIEN Die Regierung Berlusconi hat das Land abgewirtschaftet. Diktate aus Brüssel helfen aber nicht weiter. Europas muss den Binnenmarkt mitdenken

■ ist Professor für Ökonomie an der Universität La Sapienza in Rom und Leiter des Forschungsbereichs Internationale Ökonomie am römischen „Istituto Affari Internazionali“.

INTERVIEW MICHAEL BRAUN

taz: Herr Guerrieri, Italien wird zunehmend in einem Atemzug mit Griechenland genannt. Ist das absurd oder steckt darin eine Wahrheit?

Paolo Guerrieri: Beides, es ist absurd und doch zum Teil wahr. Absurd, weil es zunächst gar keinen Grund dafür gab, dass auch Italien auf der Sünderbank landete. Denn Italiens Ökonomie befand sich trotz einiger struktureller Probleme bis vor kurzem keineswegs in einer hoch dramatischen Situation. Doch die Regierung Berlusconi hat bei ihrem Amtsantritt vor gut drei Jahren einen beachtlichen Primärüberschuss im Staatshaushalt vorgefunden – dann aber drei Jahre lang weitgehend auf eine Wirtschaftspolitik verzichtet, die auf die sich abzeichnende Verschlechterung der Rahmenbedingungen reagiert hätte.

Bis zum Sommer hieß es immer, die „Grunddaten“ Italiens seien in Ordnung – keine übermäßige Neuverschuldung, kein Hochschnellen der Arbeitslosigkeit, keine Bankenkrise. War das bloßer Selbstbetrug?

Nein, hier wurden durchaus einige höchst reale Faktoren unterstrichen. Italiens Ökonomie ruht ja auf soliden Grundpfeilern, auf einer starken Industrie, auf einer hohen privaten Sparquote und hohem privatem Besitz, auf einem soliden Bankensystem. Doch es war grundfalsch, damit gleichsam die hohe öffentliche Gesamtverschuldung wegzureden, die schon bei Berlusconis Amtsantritt über 100 Prozent lag und auf mittlerweile 120 Prozent gestiegen ist. Diese Verschuldung machte unser Land mit dem Fortschreiten der Krise zunehmend fragil. Die Regierung dagegen pickte sich die positiven Aspekte heraus, um so ihre Untätigkeit zu rechtfertigen.

Sie sehen also vor allem politische Gründe dafür, dass in Italien jetzt die Eurokrise mit solcher Wucht angekommen ist.

Natürlich spielt der Schuldenberg eine Rolle, denn schon allein seinetwegen sind die Scheinwerfer auf Italien gerichtet. Dazu kam aber die Wahrnehmung, dass da ein Land in Immobilität verharrt, mit einer Ökonomie, die kaum noch wächst, weshalb ernste Zweifel an der Fähigkeit aufkamen, den Schuldenberg je abzutragen. Die Unfähigkeit zur Reaktion wurde und wird vor allem der Regierung Berlusconi zugeschrieben, mit der Folge, dass ihre internationale Glaubwürdigkeit mittlerweile gegen null geht.

Italien sieht sich mit Ultimaten der EZB und der EU-Kommission konfrontiert, zu harten Maßnahmen zu greifen, zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, zu Rentenreformen etc. Ist das der richtige Weg?

Dies ist ein Weg, auf dem erneut nicht die Folgen solcher Maßnahmen für die Binnennachfrage und das Wachstum mitgedacht werden. In ganz Europa soll die gleiche Therapie zum Zuge kommen, Schnitte bei den Ausgaben, Erhöhung der staatlichen Einnahmen. In einigen Fällen mag das angebracht sein, wenn es sich um strukturelle Eingriffe handelt. Doch auf der anderen Seite müssten Maßnahmen stehen, die die Nachfrage und die Prosperität der Wirtschaft stimulieren. Das Duo Deutschland–Frankreich und die Kommission unterschätzen völlig die rezessiven Effekte, die eine solche flächendeckende Sparpolitik haben wird. Europa schaut bloß auf die Exportmärkte – ganz so als wäre es ein kleines Land und nicht ein enormer Binnenmarkt mit 500 Millionen Einwohnern.

Was müsste Italien konkret tun?

Das Land muss auf strikte Haushaltsdisziplin setzen – aber auch auf Wachstum. Wir müssen vor allem den Weg der Steuerdisziplin wieder einschlagen, der unter Berlusconi verlassen wurde. Das heißt: Entlastung einerseits derer, die Reichtum schaffen, der Unternehmen und der Arbeitnehmer, und andererseits höhere Belastung der Vermögen sowie der Kapitaleinkommen. Hier gibt es in Italien große Spielräume. Bei den Ausgaben lassen sich ebenfalls Dutzende Milliarden einsparen. Die jetzige Regierung hat zum Beispiel radikal bei Investitionen und bei der Bildung gestrichen. Alternativen dazu sind sehr wohl denkbar. Ich will nur ein Beispiel nennen: die Anschaffungen öffentlicher Einrichtungen, da findet kaum Kosten-Monitoring statt. Wann immer das probiert wurde, zeigte sich, dass sich dort Milliardensummen einsparen lassen, ebenso bei zahlreichen Subventionen, die oft ohne Sinn und Verstand gewährt werden.

Mit Berlusconi scheint eine solche Politik illusorisch. Wäre ein „Technikerkabinett“ die Antwort?

Kurzfristig könnte ein solches Kabinett ein Zeichen der Wende setzen. Längerfristig aber wäre eine Regierung mit starker Legitimation durch die Wähler notwendig – eine Regierung, die den Leuten die nötigen Wahrheiten sagen und dann zu radikalen Maßnahmen schreiten kann.