„Es ist sensationsheischend“

LEICHEN Gunther von Hagens’ Ausstellungen vermitteln keine Informationen über den Bau des Körpers, sagt der Vorsitzende der Anatomischen Gesellschaft, Wolfgang Kummer

■ Jahrgang 1958, ist Professor und stellvertretender Direktor am Institut für Anatomie und Zellbiologie an der Universität Gießen. Er ist Vorsitzender der Anatomischen Gesellschaft. Im Zentrum seiner Forschung steht die Nervensteuerung von Herz und Lunge.

INTERVIEW UTA EISENHARDT

taz: Herr Kummer, menschliche Leichen werden im Medizinhistorischen Museum der Charité präsentiert, seit heute auch im „Menschen Museum“ unter dem Fernsehturm. Gibt es in Deutschland noch weitere Institutionen, die so etwas öffentlich zeigen?

Leichen oder Leichenteile sind gar nicht so selten zu sehen, man denke an Mumien oder die Gebeine von Heiligen, die in manchen Kirchen ausgestellt werden. Leichen sieht man auch noch im Museum anatomicum in Jena und in Marburg.

Was unterscheidet diese Museen von der Plastinaten-Show?

Sie widmen sich vor allem historischen Aspekten. Man findet dort Abbildungen und Objekte zur Geschichte der Medizin des 16. bis 19. Jahrhunderts, das beinhaltet anatomische Präparate aus dieser Zeit ebenso wie ärztliche Instrumente. Im Jenaer Museum etwa würdigt man Johann Wolfgang von Goethe, der auch als Anatom erfolgreich war: Er entdeckte den menschlichen Zwischenkieferknochen.

Wie werden Leichen präsentiert, wenn sie nicht als Plastinat gezeigt werden?

Das ist sehr unterschiedlich: Üblich sind Feuchtpräparate, aber Sie werden keine gesamte Leiche in Konservierungsflüssigkeit finden, eher ein präpariertes Organ oder ein Körperteil. Außerdem gibt es Trockenpräparate, also getrocknete Teile eines menschlichen Körpers, oder den Ausguss eines Gefäßbaums.

Geht das schon in Richtung Plastination?

Dieses Verfahren stand damals nicht zur Verfügung. Man hat mit Wachsen imprägniert oder Präparate in Plexiglas eingegossen, das waren die Vorläufertechniken der Plastination. Gunther von Hagens hat dann an der Universität Heidelberg die Methodik und den für die Plastination verwendeten Kunststoff entwickelt und patentiert. Sein Verfahren entstand ursprünglich als Nebenprodukt einer wissenschaftlichen Arbeit: Die Niere einer Ratte sollte mikroskopisch untersucht werden. Man wollte größere Gewebestücke als üblich untersuchen. Um diese schneiden zu können, musste das Präparat sehr fest eingebettet werden. Also imprägnierte von Hagens es vollständig mit einem Kunststoff.

Wie seriös ist von Hagens’ Ausstellungskonzept?

„Seriös“ ist interpretierbar. Man muss die rechtlichen Auffassungen von den ethisch-moralischen trennen. Der rechtliche Aspekt wurde bereits mehrfach geprüft. Jedes Mal wurde entschieden: Die Ausstellung ist mit dem geltenden Recht vereinbar. Die moralisch-ethische Bewertung der gezeigten Plastinate wird seit Jahren in der Anatomie diskutiert. Es gibt ein Statement zu den „Körperwelten“-Ausstellungen, das der Vorstand der Anatomischen Gesellschaft im August 2004 verabschiedet hat. Darin heißt es: „Die Ausstellung ‚Körperwelten‘ des Gunther von Hagens verstößt mit vielen Exponaten und Aktionen erheblich gegen die fachlichen, didaktischen und ethischen Prinzipien der Anatomischen Gesellschaft.“

■ Vergeblich hatte das Bezirksamt Mitte versucht, das „Menschen Museum“ mit Verweis auf das Berliner Bestattungsgesetz zu verhindern. Im Dezember urteilten die Richter am Verwaltungsgericht, das Bestattungsgesetz sei nicht auf anatomische Dauerpräparate anwendbar, die Plastinate wären weder für eine Bestattung gedacht noch dafür geeignet.

■ Dennoch legte das Bezirksamt Mitte gegen das Urteil Berufung ein und drohte den Museumsbetreibern ein Zwangsgeld von 10.000 Euro für jeden Tag an, den die Ausstellung öffnen würde. Erneut entschied das Gericht im Sinne der Museumsbetreiber. (eis)

Inwiefern verstößt es gegen auch gegen didaktische Prinzipien?

Es ist löblich, Nichtmedizinern den Bau des menschlichen Körpers nahezubringen. Jeder sollte etwas über seinen Körper wissen. Das geht natürlich auch ohne Leichen, ist aber anhand eines originalen Präparats sehr eindrücklich. Doch Gunther von Hagens’ Ausstellungen sind sensationsheischende Erlebnisanatomie – in der Art, wie sie aufgebaut sind und beworben werden. Dies ist keine gute Grundlage, um sachliche Informationen über den Bau des menschlichen Körpers zu vermitteln.

Warum muss ich als Laie überhaupt wissen, wie meine Nervenbahnen verlaufen?

„Ich hab was mit den Nerven“, das wird im Alltag häufig als körperlose Befindensstörung gesehen. Um seinen Körper zu verstehen, sollte man wissen, dass wir reell existierende Nervenbahnen und Blutgefäße haben. Noch besser ist es, wenn man sie einmal gesehen hat, insbesondere erkrankte Körperteile. So ein Blutgefäß, in dem ein großer Teil des inneren freien Raumes durch eine Arteriosklerose verlegt ist, sieht nämlich gar nicht schön aus. Oder wenn Sie eine gesunde Leber neben einer zirrhotischen Leber oder einer Fettleber betrachten. Ein visueller Eindruck ist etwas anderes als theoretisches Wissen.