Machtkampf in Bolivien

Die Auseinandersetzungen zwischen der linken Regierung und den reichen Eliten im Osten des Landes verschärfen sich. Zuletzt besetzte das Militär den Flughafen Santa Cruz

PORTO ALEGRE taz ■ Die Anlässe wechseln, der Grundkonflikt bleibt. Wieder einmal sind die linke bolivianische Regierung unter Evo Morales und die Anhänger einer Autonomie für den wohlhabenden Osten des Landes aneinandergeraten. Auf Anweisung der Heeresleitung besetzten am Donnerstag mehrere Hundertschaften Uniformierter den Flugplatz von Santa Cruz de la Sierra, den größten des Landes. Dreihundert aufgebrachte Gegendemonstranten wurden mit Tränengas zurückgehalten.

Die martialische Aktion richtete sich gegen die mit Autonomisten besetzte Luftfahrtbehörde. Deren Funktionäre nämlich waren dazu übergegangen, von den ausländischen Fluggesellschaften pro Flug zwischen 1.000 und 2.000 Dollar zusätzliche Startgebühren zu verlangen. Eine US-amerikanische und zwei brasilianische Airlines wehrten sich und sagten mehrere Flü- ge ab. In den letzten zwei Monaten seien Piloten mit Wildwestmethoden erpresst worden, sagte Vizepräsident Álvaro García Linera am Samstag und rechtfertigte die Militäraktion. „Ohne Feuerwaffen, aber mit einem Überraschungseffekt wollten wir die Legalität wiederherstellen und dann über die beste Besetzung der Behörden reden, um die Korruption zu beenden“, sagte er.

Der Schuss ging nach hinten los. Am Freitag, als sich über 10.000 Autonomieanhänger mit ihren weiß-grünen Fahnen und Gouverneur Rubén Costas an der Spitze bereits auf einem Großmarsch in Richtung Flughafen befanden, kam der Befehl zum Rückzug. „Sie sind mit eingezogenem Schwanz zurückgewichen“, jubelte Costas und nutzte die Gelegenheit zu einer Tirade gegen Hugo Chávez. Unter großem Jubel beschimpfte er Venezuelas Präsident als einen „größeren Affen“, als Ratte, Diktator und Feigling.

„Chávez macht seine Drohung wahr“, behauptete Branco Marinkovic vom mächtigen Bürgerkomitee von Santa Cruz. Am Tag der Intervention nämlich befand sich eine Maschine aus Venezuela auf dem Flughafen – für die Rückreise von venezolanischen Stipendiaten, wie ein Regierungssprecher sagte. Die Steilvorlage für die Attacken der Autonomisten hatte Chávez vor einer Woche allerdings selbst geliefert: In typischer Großmäuligkeit drohte er von Kuba aus ein „Vietnam der Maschinengewehre“ an, sollte die „bolivianische Oligarchie“ Evo Morales stürzen oder ermorden.

Die Zentralregierung will jetzt die Korruptionsvorwürfe untersuchen und die hochverschuldete regionale Luftfahrtbehörde zusammen mit der Regionalregierung auf Vordermann bringen. Doch die Fronten zwischen La Paz und Santa Cruz sind verhärteter denn je.

Die Verfassunggebende Versammlung tagt bereits seit zwei Monaten nicht mehr. Im August und September hatte die Rechte gefordert, den Regierungssitz von La Paz in die Hauptstadt Sucre zu verlegen. „Nachdem es den Autonomisten nicht gelungen ist, die Regierung in dieser Frage in die Knie zu zwingen, nutzen sie jetzt den gegenwärtigen Konflikt um die Luftfahrtbehörde, um Öl ins Feuer zu gießen“, sagte die Politologin Helena Argirakis.

Álvaro García Linera, der seit Anfang Oktober mit Teilen der Opposition darüber verhandelt, wie der Verfassungskonvent wieder in Gang gebracht werden könnte, gibt sich erstaunlich gelassen: „Im Grunde ist es ein offener Machtkampf, eine Verschärfung der Klassenkämpfe in der Form regionaler und ethnischer Konflikte“, meint der Soziologe und Vizepräsident. GERHARD DILGER