Politisch, künstlerisch und sexuell

KUNST Eine neue Ausstellung im Künstlerhaus Bremen befasst sich mit dem Kampf um Selbstdarstellung und Sexualität. Inwiefern wurde er auf dem Terrain der Kunst geführt? Worin hat er sich manifestiert?

Von der Decke hängen Bahnen abfotografierter Berliner Mauer

„Lynda, Robert, Amy, Enzo und die Anderen“ ist nicht unbedingt ein gewöhnlicher Titel für eine Kunstausstellung. Und auch die Ausstellung selbst, die seit Freitag unter diesem Titel im Künstlerhaus zu sehen ist, ist etwas eigenartig. Kunstwerke im eigentlichen Sinne gibt es keine. Auch nicht von Lynda, Robert, Amy und Enzo – bei denen es sich immerhin um die Künstlerinnen und Künstler Lynda Benglis, Robert Morris, Amy Lien und Enzo Camacho handelt.

Zu sehen sind Dokumente von den Rändern der Kunstgeschichte: Plakate, alte Kunstzeitschriften, Werbeanzeigen und Leserbriefe. Ist das fade? Nein, denn die Geschichten, die hier erzählt, die Fragen, die hier aufgeworfen werden, sind von großer Relevanz. Denn es geht um Selbstdarstellung und Sexualität. Auf welche Weise wurde der Kampf auf dem Terrain der Kunst geführt? Worin hat er sich manifestiert? Die von Fanny Gonella kuratierte Ausstellung kommt vielleicht mehr einem Essay gleich. Als Kunstausstellung ohne „echte“ Werke zeigt sie Manifestationen künstlerischer Arbeit.

Von 1974 stammt ein Plakat, auf dem eine männliche Person mit nacktem Oberkörper, Sonnenbrille, Stahlhelm und schwerer Eisenkette posiert. Eine typische Schwulenpose der 70er Jahre. Für Morris allerdings vollkommen untypisch: Als zentrale Figur der Minimal Art fertigte er ungegenständliche Textilskulpturen. Gemeinhin trockene Kunst ohne Witz, Sex und Körper.

Morris war damals mit der feministischen Künstlerin Lynda Benglis zusammen. Ebenfalls 1974 provozierte sie mit einer Selbstinszenierung einen wirklichen Eklat. Das Kunstmagazin Artforum International brachte einen längeren Beitrag über Benglis. Zur Illustration schlug die Künstlerin eine Fotografie vor, auf der sie nackt und nur mit einer Sonnenbrille bekleidet posiert und einen doppelseitigen Dildo zwischen ihren Beinen hält. Der Vorschlag wurde abgelehnt. In Folge inserierte Benglis ihr Foto auf einer Doppelseite des Magazins für 3.000 Dollar. Die Aufregung war groß. Die gesamte Redaktionsspitze trat daraufhin zurück. Und das wegen künstlerischer und sexueller Selbstinszenierung in einem aufgeklärten Milieu.

In einem ebenfalls ausgestellten Leserbrief hingegen wird die Doppelseite sehr gelobt. Sie weiche ab von der selbstreferenziellen und akademisch-langweiligen Linie des Blattes. Sollte die Anzeige einen Paradigmenwechsel einläuten, könne man den Brief gerne als Abo-Bestellung verstehen. Die Kaufanzeige ist vielleicht ein wichtiges Mittel der Selbstdarstellung. Der Markt verhält sich weitgehend demokratisch gegenüber den Bedürfnissen seiner zahlungsfähigen Kunden. In der Zeitung Village Voice inserierte in den 70er Jahren die Künstlerin Adrian Piper im Anzeigenteil kleine Fotografien, in denen sie sich als Mann darstellt – mit Afro-Perücke, angeklebtem Schnäuzer, Sonnenbrille – und über ihr Konsum- und Sexualleben philosophiert.

Vielleicht auch eine Form der geraubten Anzeige ist das Graffiti. Hier schlägt die Kuratorin Fanny Gonella einen Bogen in die Gegenwart. Gezeigt werden Repliken von Arbeiten der Künstler Amy Lien und Enzo Camacho, die letztes Jahr in der Berliner Galerie Mathew zu sehen waren. Von der Decke hängen Bahnen abfotografierter Teile der Berliner Mauer. Sie sind übersät mit Statements: politischen, künstlerischen und sexuellen. RADEK KROLCZYK