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: HELMUT HÖGE über Kulissenschiebereien

„Good Business is the Finest Art!“ Andy Warhol

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wird im Rahmen des Stadtmarketing die Dachmarke „Berlin“ künftig ein eingetragenes Warenzeichen sein, so dass jemand, der z. B. „Berlin Gurken“ vertreiben will, eine Gebühr bezahlen muss. Wird das auch bei den ganzen „Berlin-Romanen“ der Fall sein, dass die Verlage eine Art Nutzungsgebühr an die Stadt entrichten müssen? Inzwischen arbeiten schon ganze Regionen, Naturparks und Biosphärenreservate mit solchen Dachmarken. In diesem Zusammenhang sprechen die Marketingexperten von „Gebietskulissen“. Dieses schreckliche Wort hat einiges für sich. Die Vermarktung einer Region oder einer Stadt richtet sich ja vor allem an Touristen, wobei u. a. mit ihren Produkten und Dienstleistungen geprahlt wird. Dazu gehören auch alle neuen und alten Sehenswürdigkeiten – wie die Brandenburger Torheit, der Fernsehturm, sämtliche Schlösser, Museen, Clubs etc. Und das sind in der Tat für den Touristen Kulissen, von denen er sich anmuten lässt oder ennuyiert wird. Auch wenn man sich bloß in ein Café setzt, hat man nichts als Kulis und Kulissen um sich herum. In Italien ist das „Angebot“ an manchen Orten derart überwältigend, zumindest für Touristen aus den USA, dass sie dort ob des ganzen Kulturkonzentrats und seiner Schönheit regelmäßig psychisch zusammenbrechen. Ihnen fällt sozusagen die Gebietskulisse Renaissance auf den Kopf. Umgekehrt ist das arme Berlin derart hässlich, dass hier die Leute eher wegen des Vergnügungs- und Drogenangebots ausrasten – z. B. beim „Pub-Crawling“. Aber auch in den Clubs und Kneipen selbst hat man es noch mit Kulissen zu tun. Robert Gernhardt hat sie einmal gründlich am Beispiel seiner italienischen Pizzeria in Frankfurt am Main ausgedeutet – bis hin zu den wuchtigen Aschenbechern auf den Tischen. Umgekehrt hat Michael Rutschky sich mit den Minikulissen befasst, die die Touristen als Souvenirs von ihren Urlaubsorten mitbringen. Dabei entdeckte er, dass die Kleinbürger die Schönheit partout mit Nützlichkeit verbinden wollen – und z. B. bei einer Muschel vom Nordseestrand darauf bestehen, dass sie auch noch mit einem Thermometer oder einer kleinen Uhr versehen wurde. Das Mauermuseum am Checkpoint Charly ist in dieser Hinsicht geradezu eine Wundertüte: russische Panzer als Feuerzeuge, Wachtürme als Vasen, Mauertote aus Plastik als Wecker, der Todesstreifen als Carrera-Rennbahn – ich übertreibe, aber nur geringfügig. Im Übrigen werden hier auch die Häuser mehr und mehr bereits als Kulisse gebaut, indem man sie schnell und lieblos mit Beton hochzieht, dann aber mit schickem Marmor oder mit Hartbrandziegelsteinen außen verkleidet – z. B. am Potsdamer Platz. Dort verfuhr man auch mit den Kneipen so: Es sind alles die selben Beton-Glas-Zellen, die bloß unterschiedlich dekoriert wurden – mit einer hollywoodesken, mexikanischen, bayrischen, irischen oder thailändischen Kulisse, d. h. mit all den Accessoires bis hin zu den Getränken, die man gemeinhin mit diesen Ländern assoziiert. Das ist auch sinnvoll, denn in einem italienischen Grottenrestaurant z. B. möchte man nicht gern mit einer indischen Speisekarte konfrontiert werden. Ja, es ist sogar gesagt worden, dass das Kulissenhafte der Authentizität vorzuziehen sei – also wenn Türken oder Albaner sich als italienische Wirte verkleiden, Russen Sushiläden aufmachen und Deutsche als Originalrussen daherkommen, weil der authentische Italiener, Japaner, Russe hier nur dumpf das anbietet, was er daheim gelernt hat, während die geschäftstüchtigen Kulissenschieber sich danach richten, was die Gäste wollen – und dabei den Konjunkturen folgen: Gestern „Jugo-Grill“, heute „Tex-Mex“, morgen „Singapur-Lounge“. Auch die Stadt will sich angeblich demnächst ein neues „Image“ verpassen. Das ist auch nötig, denn sie ist noch immer stark von den letzten sozialen Bewegungen geprägt, während nun die national-reaktionäre, christlich-refamilialisierte, geldgeile Dumpfmeisterei angesagt ist, wie sie z. B. die „Hertie-School auf Governance“ und ähnliche Hotspots jetzt schon abstrahlen. Und nicht umsonst gilt der Kulissenbildner der Volksbühne, Bernd Neumann, inzwischen als der interessanteste Regisseur der Stadt.