Mitleid für die Falschen?

JVA-GEISELNAHME

Einer hat eine gebrochene Rippe, die Übrigen leiden unter posttraumatischem Stress – die Opposition im schleswig-holsteinischen Landtag sorgt sich um die Justizvollzugsbeamten, die an Heiligabend im Lübecker Gefängnis Opfer einer Geiselnahme wurden. So beantragt die CDU in der kommenden Sitzung ein Konzept, um „Justizvollzugsbedienstete in kritischen Situationen nicht allein zu lassen“. Vielleicht gilt dieses Mitleid den Falschen: Ein Häftling, der Zeuge der Geiselnahme war, berichtete dem Flensburger Tageblatt von brutalem Vorgehen gegen den überwältigten Täter: „Er wurde zusammengeschlagen, bis er sich nicht mehr bewegte.“

Seinem Anwalt zufolge hatte das Opfer da bereits gefesselt auf dem Boden gelegen. Zuvor hatte der Gefangene mit weiteren Häftlingen einen Wärter in die Zelle gelockt, ihm ein – eher stumpfes – „Haftmesser“ an den Hals gehalten und mit einem weiteren Häftling und der Geisel den Raum verlassen. Auf einer nahen Treppe endete der Fluchtversuch: Andere Beamte überwältigten die Männer.

Das Vorgehen der Bediensteten an jenem Abend hat Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) bisher stets als vorbildlich und professionell bezeichnet. Wachsende Kritik gab es dafür an der Leiterin der Justizvollzugsanstalt, Agneta Mauruschat: Sie hatte erst einen Tag später die Polizei gerufen und so die Spurensicherung erschwert. Bisher ging es vor allem um die Frage, ob die Häftlinge unter Alkohol oder Drogen standen – beides wäre strafmildernd. Die Aussagen der Häftlinge nähren einen anderen Verdacht: Sollte die Prügelattacke, falls sie so stattgefunden hat, vertuscht werden?

Das Justizministerium verweist auf laufende Ermittlungen. Gegen Mauraschat, die von ihrem Posten enthoben wurde, läuft ein Disziplinarverfahren, auch die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich mit dem Fall. Ermittelt wird nun auch gegen den Vollzugsbeamten. In einer nicht-öffentlichen Sitzung soll Spoorendonk den Innen- und Rechtsausschuss des Landtags über die neueste Wendung informiert haben. Die offene Landtagsbühne könnte die Opposition ab Mittwoch nutzen – es sei denn, das ist den lautstarken Verteidigern der traumatisierten Justizvollzugsbeamten zu peinlich.  EST