Vorsicht, bissige Rottweiler!

Für den vierten Teil der Kontext-Serie Landvermessung haben wir Christian Büscher vom Karlsruher Institut für Technologie befragt, wie riskant es eigentlich ist, in Baden-Württemberg zu leben. Man darf sich beruhigen. Weil das Leben im Land eher nicht so gefährlich sei, wie der Risikoforscher meint

Christian Büscher ist Risikoforscher am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie Foto: KIT

Interview von Anna Hunger

Herr Büscher, hier auf dem Tisch liegt ein Apfel vom Bodensee, er ist nicht gewaschen. Es ist ein Braeburn. Essen wir den?

Der sieht gut aus. Wir könnten ihn abputzen. Aber ich würde ihn auch so essen.

Gibt es etwas, das Sie niemals tun würden? Rauchen?

Interessanterweise hat sich beim Rauchen in den vergangenen Jahren eine Verschiebung der Betrachtung ergeben. Es hat sich zur vulgären Geste gewandelt. Es ist nicht mehr angesagt. Und es gefährdet Andere. Wenn ich zum Beispiel Eltern sehe, die im Auto rauchen, obwohl sie ein kleines Kind dabeihaben, habe ich immer das Gefühl, sie ansprechen zu müssen. Das ist eine eklatante Gefährdung für das Kind. Und das ist etwas, das man komplett vermeiden könnte.

Unter einem Gerüst durchlaufen?

Das macht mir nichts aus. Wir haben ja ein unglaubliches Vertrauen in Organisationen und Technik, die sich um die Überwachung dieser Technologie kümmern. Das gilt für Medikamente, für das Autofahren und so weiter.

Ist Vertrauen nicht risikoreich?

Sind Sie mit dem Auto da? Sie wären nicht hier, wenn Sie dieses Vertrauen nicht hätten. Wir brauchen ja dieses Vertrauen, wenn wir täglich leben wollen. Sonst könnten wir uns nicht mehr aus dem Haus begeben.

Baden-Württemberg gilt als eines der sichersten Länder in Deutschland – mit Abstand. Vergleichsweise wenig Kriminalität, hohe Aufklärungsraten, wir leben sogar ein Jahr länger als alle anderen Deutschen, wir sind gesünder und einigermaßen reich. Alles bestens also. Das klingt wenig risikobehaftet.

Man hat sogar den Eindruck, man kann mittlerweile im Auto einschlafen, weil Aufwecksysteme erfunden wurden. Zu viel Sicherheit lässt die Aufmerksamkeit schrumpfen. Genau wie alle technischen Apparate, die einen in Sicherheit wiegen und dazu bringen, dass man mehr Risiken eingeht. In neuen Autos beispielsweise gibt es so viele Assistenzsysteme, dass man kaum noch etwas selber machen muss. Der Fahrer braucht ja oftmals nicht mehr selbst zu bremsen, weil der Assistent das macht. So bekommt man ein ganz anderes Gefühl für Risikoniveaus, und das individuelle Risiko erhöht sich. Man könnte allgemein der Vermutung nachgehen, dass das Sicherheitsniveau seit Jahrzehnten gerade wegen dieser technischen Entwicklungen gleich geblieben ist. Es hat sich nicht verringert, weil man mehr Wagnisse eingeht. Man fährt schneller in die Kurve, bremst später, verlässt sich auf die Technik.

Nach Tschernobyl hat man den Begriff „Restrisiko“ erfunden. Nach Fukushima wissen wir, was Restrisiko bedeuten kann. Wie viel Restrisiko ist Baden-Württemberg mit seinen Kernkraftwerken ausgesetzt?

Man stelle sich vor, man hätte plötzlich Hunderte Quadratkilometer in Deutschland, die nicht mehr bewohnbar und betretbar sind, wie jetzt in Japan. Das kann man nicht auf ein Bundesland herunterbrechen. Es ist mit Sicherheit eine Technologie, auf die man verzichten sollte, wenn man könnte. Ob man kann, wird sich herausstellen. Wir versuchen das ja. Aber es gibt auch andere Gefahren, die absehbar auf uns zukommen. Die Veränderung des Klimas beispielsweise wird sehr konsequenzenreich sein.

In der Ortenau, einem Weinbaugebiet, gibt es Winzer, die schon ausgerechnet haben, wie viel besser ihr Wein wird, wenn das Klima sich erwärmt.

Ich weiß nicht, ob wir uns darauf freuen sollten. Der Sommer in Baden-Württemberg ist ja nicht gerade angenehm. Außerdem ist die Entwicklung des Klimawandels in keiner Weise vorauszusehen. Kann ja sein, dass es sich so verändert, dass auch die Winzer damit nicht mehr einverstanden sind. Aber gut, die Baden-Württemberger sind ja Tüftler und Bastler und Ingenieure. Vielleicht gehen sie davon aus, wenn wir einen Mercedes bauen können, können wir auch globale Prozesse wie den Klimawandel beherrschen. Das wäre aber eine Hybris ganz besonderer Art.

Zur Automobilindustrie: wie hoch ist die Gefahr, dass es in der Automobilbranche so richtig kriselt? Zumal wir jetzt eine grün-rote Landesregierung haben.

Man hat ja vorher immer spekuliert, die Industrie in Baden-Württemberg würde unter Grün-Rot leiden. Firmen haben damit gedroht, wegzuziehen.

Vielleicht nach Bratislava, da kommt man in ein paar Jahren ja ganz gut hin.

Genau. Bisher ist aber noch nichts in der Richtung passiert. Ob es passieren wird, kann ich schwer einschätzen. Wenn, dann entstehen irgendwann neue Industrien. Im Ruhrgebiet gibt es auch keine Zechen und Kokereien mehr. Dafür aber einen Technologiepark in Dortmund. Aber klar, es wird enorm schwierig werden, wieder so eine Art Massenbeschäftigung zu schaffen. Man kann da nur spekulieren.

Wie risikobehaftet ist denn das geplante Bahnprojekt Stuttgart 21 wirklich?

Die Risiken, die innerhalb eines solchen Projekts eingegangen werden dürfen, sind ja gesetzlich festgelegt. Ob das Restrisiko adäquat bestimmt wurde, erweist sich dann erst nachher. Vorher gibt man vor, es nicht zu wissen. Aber ganz ehrlich, wenn man bestimmte Dinge nicht wagt, kann man sie nicht in Angriff nehmen. Dann kann man keine Tunnel bauen. Aber auch keine Flugzeuge, keine Energieanlagen, die ökologisch sinnvoll sind. Auch Pumpspeicherkraftwerke bergen ökologische Risiken.

Die sind auch sehr protestbehaftet. In Atdorf im Schwarzwald gibt es zwar keine Parkschützer, aber eine Gruppe Landschaftsschützer.

Ja, weil die Kraftwerke sehr viel Landschaft vernichten oder in ihrer Ästhetik herabsetzen. Und weil natürlich auch Personen davon betroffen sind. Welche Risiken Menschen tolerieren und welche nicht, zeigt sich bei jedem Projekt aufs Neue. Ich habe noch nie erlebt, dass man wissenschaftlich exakt bestimmen kann, wo solche Proteste ausbrechen. Das hat noch kein Wissenschaftler hinbekommen.

Wie gefährlich könnte der verbliebene Parkschützer-Protest denn für die baden-württembergische Gesellschaft werden?

Der Protest sorgt für eine Dauerstörung im Alltag, für eine Blockade in dieser Frage. Aber dass er tief greifend alltägliche Abläufe stört, kann ich mir nicht vorstellen. Ich würde mich wundern, wenn die Verwaltung, die sich um den Kunstbetrieb in Stuttgart kümmert, davon beeinträchtigt würde. Oder die Verwaltung, die sich um die Kitas kümmert. Der Protest wurde medial so aufgearbeitet, dass man meint, es gibt in Stuttgart nichts anderes mehr. Aber es passiert so unglaublich viel in dieser Stadt. Die meisten alltäglichen Abläufe laufen weiter. Ob es eine Gefahr für ein Gemeinschaftsgefühl ist, da müsste ich fragen: Gab es das in Stuttgart vorher? Und das glaube ich nicht.

In Baden-Württemberg gibt es eine Menge Mafiosi.

Tatsächlich? Richtig italienische Mafia? Das würde mich beunruhigen. Und das würde tatsächlich ein Risiko darstellen.

Ich zeige Ihnen jetzt Bilder mit typischen Dingen aus Baden-Württemberg drauf, und Sie sagen mir, was Ihnen mit dem Gehirn eines Risikoforschers dazu einfällt. Eine Flasche Trollinger.

Müsste ich mal probieren. Aber um auf das Risiko zu kommen: fünf Flaschen am Tag wären zu viel.

Maultaschen, vermutlich aus Plastik fürs Foto.

Das einzige Risiko könnte sein, dass sie furchtbar schmecken.

Ein Schwäbisch-Hällisches Landschwein samt Ferkel.

Och, die sehen zufrieden aus. Kein Risiko.

Der Silver Surfer im Europapark, Europas größte Achterbahn.

Ich hätte vielleicht Angst in der Situation. Vielleicht dreht's mir ja den Magen um. Selbst wenn ich weiß, dass die Technik sicher ist, habe ich immer noch Schwierigkeiten, mich in gefährliche Situationen zu stürzen. Aber doch, ich würde schon einsteigen. Das passt ganz gut zu Ihrer Frage nach einer zu hohen Sicherheit: Da ist man versucht, sich durch ein gewisses Risiko in ein Excitement zu stürzen. Ich fahre aber lieber Mountainbike. Und Mountainbikefahren gehört auch nicht gerade zu den sichersten Sportarten. Dafür trage ich einen Helm und gehe davon aus, dass mein Fahrrad sicher ist.

Ein Bollenhut.

Ich müsste mir ein ästhetisches Urteil erlauben, das wäre vielleicht das größte Risiko hierbei.

Jetzt hab ich was für Sie: einen Rottweiler.

Ui, ja, die können wirklich unangenehm sei. Ich kenne Rottweiler aus meiner Kindheit. Die Nachbarn hatten einen. Ich habe einen großen Respekt vor Hunden, vor allem, wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin. Hunde sind eben Tiere, die können für eine Sekunde unberechenbar sein.

In Baden-Württemberg gibt es eine Menge Waffenhersteller. Heckler & Koch, Rheinmetall, EADS, der ganze Bodensee ist umzingelt von Rüstungsfirmen. Wie gefährlich ist denn unser friedliches Bundesland für den Rest der Welt?

Natürlich hätte auch ich lieber eine Welt ohne Waffengewalt. Heckler & Koch stellt Waffen her für Armeen, aber auch für die heimische Polizei. Und wenn das Gewaltmonopol beim Staat liegt, muss es eine Möglichkeit geben, das durchzusetzen. Dazu braucht es Waffen. Aber ich hoffe, dass es genug demokratische Kontrollinstitutionen gibt, die den Gewalteinsatz so klein wie möglich halten. Natürlich würde ich mir wünschen, wir lebten in Europa ökologisch, sozial und politisch korrekt. Und ich würde mir wünschen, dass wir ökologisch, sozial und politisch korrekt produzieren. Das ist natürlich eine Utopie. Aber ob Baden-Württemberg besonders gefährlich ist für den Rest der Welt? Nein, glaube ich nicht.

Bis auf bissige Rottweiler scheint das Land also nur rudimentär risikobehaftet. Gibt es überhaupt etwas an Baden-Württemberg, das gefährlich ist?

Ungesicherte Baugerüste. Na ja, und natürlich die Mafia.