„Die Polizei hat uns geopfert“

RECHT & GESETZ Stephan Sattler und Robert Mahler versuchten einen Betrug im bayerischen Gesundheitswesen aufzuklären. Damit machten sie sich die Politik zum Feind und wurden von „Jägern zum Gejagten“

■ Ermittlungen: Erweisen sich die Vorwürfe der Hauptkommissare Robert Mahler, 33, und Stephan Sattler, 52, als wahr, hat Bayern den nächsten Justizskandal zu verarbeiten. Sattler leitete 2006 die Ermittlungen gegen den Laborunternehmer Bernd Schottdorf und tausende Ärzte. Ihnen wird vorgeworfen, nach einem betrügerischen System abgerechnet zu haben. Der Allgemeinheit könnte ein Schaden von mehreren hundert Millionen Euro entstanden sein.

■ Behinderungen: Ohne einen Gerichtsbeschluss abzuwarten, der das Schottdorf-System als Betrug auswies, wurden die Ermittlungen 2009 eingestellt. Sattler und Mahler beschwerten sich, dass die Generalstaatsanwaltschaft, die dem Justizministerium untersteht, in die Ermittlungen eingegriffen hat. Der Freistaat ging gegen die zwei Beamten vor.

■ Untersuchungsausschuss: Hat die bayerische Justiz den gut mit der CSU vernetzten Laborunternehmer Schottdorf geschützt und tausende Ärzte davonkommen lassen? Ist sie unrechtmäßig gegen die vorgegangen, die auf die Missstände hinwiesen? Diese Fragen sollen im Untersuchungsausschuss „Labor“ beantwortet werden, in dem auch Justizminister Winfried Bausback, Innenminister Joachim Hermann und Ministerpräsident Horst Seehofer vernommen werden sollen.

■ Klage: Auch Sattler und Mahler werden aussagen. Sie haben gegen den Freistaat geklagt, die Verfahren laufen noch. Das Gericht stellte fest, dass die Ermittlungen gegen Mahler rechtswidrig waren. Der Freistaat bot einen Vergleich an: 4.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz. Mahler lehnte ab.

INTERVIW LISA SCHNELL

taz: Herr Mahler, der Freistaat stört sich an Ihrem „übersteigerten Unrechtsbewusstsein“. Darf man das als bayerischer Polizist nicht haben?

Robert Mahler: Mir wurde mal gesagt: In bestimmten Bereichen sollte man’s nicht so eng sehen. Wenn es um den einfachen Bürger geht, dann ja, aber, da wo’s politisch wird, darf man nicht ganz so am Wort des Gesetzes kleben bleiben.

Herr Sattler, wie wurden Ihre Ermittlungen gegen den Laborunternehmer Schottdorf erschwert?

Stephan Sattler: Die Arbeitsbedingungen waren widrig. In dem Gebäude wurde umgebaut. Es war furchtbar laut und staubig. Im Winter hatten wir keine Heizung. Manchem Mitarbeiter wurde direkt oder indirekt gesagt: Wir wissen nicht, ob du später noch auf deine alte Dienststelle zurückkannst, und suggeriert: Kümmer dich drum, dass du da wegkommst. Die Ermittlungen bestätigten den Grundverdacht auf einen Multimillionen-Euro-Betrugsschaden. Normal hätte man da unwahrscheinlich viel ermitteln müssen, stattdessen wurde meine Einheit abgebaut und eingestellt. Verzeihen Sie den Ausdruck, aber ich hab mich massiv verarscht gefühlt.

Wie kamen Sie drauf, dass die Order von ganz oben kamen?

Sattler: Zuerst hat die Staatsanwaltschaft noch Anzeige erstattet, dann hieß es auf einmal, sie dürfen nichts mehr beantragen. Ein solches Verbot bestritt die damalige Justizministerin gegenüber dem Parlament. Ein Arzt entgegnete uns gar im Rahmen einer Durchsuchung, dass es ihn ein Anruf kosten würde, und dann wären unsere Ermittlungen erledigt. Er sollte Recht behalten. Da kommt man relativ schnell drauf, dass da politische Mächte eine Rolle spielen könnten.

Sie haben sich bis zum Polizeipräsidenten beschwert. Wie war die Reaktion?

Sattler: Ich wurde unrechtmäßig versetzt. Als Soko-Leiter habe ich 18 Leute unter mir gehabt, und dann sollte ich Bestechungsfälle im 1-Euro-Bereich bearbeiten. Das ist absolut erniedrigend. Als ich dagegen vorgegangen bin und Recht bekommen habe, wurde ich normaler Sachbearbeiter, eine Strafversetzung.

Mahler: Die Polizei hat uns ganz jämmerlich auf dem Altar geopfert, offensichtlich weil wir lästig waren. Ich habe nebenbei Rechtswissenschaften studiert und eine Ausbildung zum Mediator absolviert. Wenn man es mit einem Schwimmbad vergleicht, stand ich schon am 10-Meter-Brett, und plötzlich fand ich mich im Nichtschwimmerbecken wieder.

Auch die Justiz ist gegen Sie vorgegangen. Ihnen, Herr Sattler, wurde Falschaussage vorgeworfen, weil Sie vor Gericht sagten, dass in Ihre Ermittlungen eingegriffen wurde.

Sattler: Da hab ich mich gefragt, ob ich noch auf dem richtigen Planeten stehe. Sie benennen Unrecht, und zum Dank ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Sie. Es gibt für einen Polizeibeamten nichts Schlimmeres als vor Gericht als Lügner dazustehen. Das bedrückt einen zutiefst. Was ich ausgesagt habe, trifft zu. Es war klar, dass das Verfahren gegen mich unrechtmäßig war. Um zu ermitteln, brauchen Sie einen konkreten Tatverdacht. Bei mir wurde ein Verfahren eingeleitet, um herauszufinden, ob es überhaupt einen Anfangsverdacht gibt.

Mahler: Als wenige Wochen später auch ein Verfahren gegen mich eingeleitet wurde, war mir klar: Jetzt bin ich dran. Da wird gesucht, wo man nur suchen kann, wie Pilze suchen in der Antarktis.

Über zwei Jahre dauerten die Ermittlungen, bis sie eingestellt wurden. Wie ging es Ihnen in der Zeit?

Sattler: Mies. Sie werden von den Kollegen geschnitten, sind die Ganoven, die Aussätzigen. Man muss lernen, das zu ertragen.

Mahler: Ich wollte schon als Kind immer nur Polizist werden. Berufsmäßig hat man mir vieles genommen, an was ich geglaubt hatte. Es ist das Schlimmste, wenn man vom Jäger zum Gejagten wird und weiß, man hat nach bestem Gewissen gehandelt. Das nimmt einem den Grundhalt im Leben.

Wie haben Sie auf die psychische Belastung reagiert?

Mahler: Ich entwickelte eine tiefe Furcht, die aus nichtigen Anlässen immer wieder zu tiefem Erschrecken führte. Wenn beispielsweise etwas raschelte oder es an der Tür läutete, erschrak ich förmlich zu Tode. Mehrfach fiel mir unvermittelt, wie aus heiterem Himmel, ein Teil meines Augenlichts aus. So was hatte ich noch nie und hätte es nie geglaubt: Die Symptome sind alle echt, bis zur letzten Haarspitze.

Sattler: Ich war zwei Jahre in der Armee, bin mit dem Fallschirm ins Nichts gesprungen und weiß, wie man seine Angst überwindet. Und plötzlich wache ich nachts auf, schweißgebadet. So ein Angstschub, der nimmt Ihnen die Luft. Beim Autofahren in der Nacht fangen Sie das Zittern an, nur weil Sie jemand überholt. Aber wir waren keinen Tag krank. Das kam nicht infrage, denn genau darauf hätten sie gewartet.

In der Zeit wurden Ihre privaten Daten ohne Gerichtsbeschluss ausgewertet.

Mahler: Wir wurden in einem Verfahren gegen unbekannt als Zeugen geführt. Das wurde als Vorwand genommen, um uns auszuspionieren. Alles wurde ausgewertet: der Schriftverkehr mit einem Rechtsanwalt, persönliche E-Mails und sogar höchstpersönliche Gesundheitsdaten. Auch wenn wir in psychiatrischer Behandlung gewesen wären, hätten sie das also gesehen. Da wird in die tiefsten inneren Kreise reingelangt, um was gegen den Gegner in der Hand zu haben.

Sattler: Man fühlt sich nackt und ans Messer geliefert. Das geht ins Innerste des Inneren.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass Ihre eigenen Leute Sie ausspioniert haben?

Sattler: Das hat mich furchtbar traurig gestimmt. Von dem Beamten, der meine Daten ausgelesen hat, hätte ich erwartet, dass er zu seinem Vorgesetzten sagt: Ohne Durchsuchungsbeschluss mach ich das nicht. Das wäre Charakterstärke, das wäre rechtskonform. Mich erinnert das an unsere jüngste Vergangenheit, wo Unteroffiziere, ohne nachzudenken, menschenverachtende Befehle befolgt haben. Das ist natürlich nicht zu vergleichen, aber das Prinzip ist das Gleiche. Dass Menschen Befehle befolgen, ohne sich die Freiheit und das Recht zu nehmen, zu sagen: Nein, das ist Unrecht.

Mahler: Damals wurde ich von Gregor Gysi vertreten, da war klar, dass die Medienwelt nicht weit weg ist, und trotzdem hat man sehenden Auges Amtspflichtverletzungen begangen. Das macht man nur, wenn man weiß, dass einem nichts passieren kann. Ein solches „System“ ist in meinen Augen intolerabel. Wenn jeder sakrosankt ist, dann ist der Kriminalität Tür und Tor geöffnet.

Sie haben gegen den Freistaat geklagt. Das Gericht bestätigte, dass die Ermittlungen gegen Sie rechtswidrig waren. Sind Sie damit zufrieden?

Mahler: Dass wir vor Gericht gehen müssen, finde ich für sich genommen schon schlimm. Man könnte ja auch mal vonseiten des Freistaats auf die Idee kommen, zu sagen: Hier ist Unrecht geschehen, und deshalb leisten wir Wiedergutmachung. Eine ehrliche Entschuldigung würde uns viel bedeuten. Wir haben das Justiz- und Innenministerium und den Ministerpräsidenten informiert. Wenn sich jetzt herausstellt, hier ist Unrecht geschehen, dann muss dafür auch ein Minister haften und die Schuldigen benennen. Aber alle, die gegen uns vorgegangen sind, sind noch auf ihrem Posten.

„Wir haben auf die Verfassung geschworen, dazu gehört auch, das Volk zu schützen“

Sattler: Die meisten sind befördert worden.

Mahler: Was ist denn das für eine Justiz, wenn Staatsanwälte eines massiven Fehlverhaltens überführt sind und dennoch in höchste Richterämter befördert werden? Da ist dann der Glaube an den Rechtsstaat kaum mehr da.

Funktioniert der Rechtsstaat in Bayern noch?

Mahler: Beim Otto Normalverbraucher ja, aber in politischen Angelegenheiten hab ich null komma null Vertrauen mehr.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun aufklären. Sie haben öffentlich darauf hingewiesen, dass er von einer Zeugin belogen wurde. Wird es eine umfangreiche Aufarbeitung geben?

Mahler: Ich bin zuversichtlich, dass dort Missstände aufgezeigt werden. Trotzdem: Wenn jetzt auch das Parlament belogen wird, wer soll denn dann die Wahrheit ans Licht bringen? Deshalb haben wir uns entschieden, nicht zu schweigen. Wir haben einen Eid auf die Verfassung geschworen, dies bedeutet auch, Schaden vom Volk abzuhalten.

Das Justizministerium sieht das anders: Wenn Sie weiter über Ihre Ermittlungen sprechen, könnte ein Verfahren wegen Geheimnisverrats drohen. Sind Sie sicher, dass Sie dieses Interview gedruckt sehen wollen?

Mahler: Wir sind über die Jahre über gewisse Grundängste hinausgewachsen.

Sattler: Es ist ersichtlich der Versuch, uns einen Maulkorb umzuhängen. Aber ich steh dazu. Meine Oma hat immer gesagt: Was Unrecht ist, soll man auch als Unrecht betiteln. Punkt.

Mahler: Darum geht es.