Von der Leyens Traum

Babyfotos

Kauzige Menschen wie ich, die ihren Mailverkehr noch immer mit einem langsamen Modem regeln, sind dem Terror unverlangt verschickter Riesenfotos hilflos ausgeliefert – und vermögen genau deswegen soziale Missstände zu erkennen, die andere gar nicht mehr wahrnehmen. Alles begann mit der Einladung zum 15-jährigen Abitreffen. Es formierte sich eine Mailinglist zur Eruierung möglicher Termine und Orte.

Da mein Modem ab sofort mindestens eine Stunde brauchte, um auch nur eine der eingegangenen Dutzendmails vom Server herunterzuladen, hatte ich in meiner Neuköllner Wohnung Zeit, mir Gedanken über die Bedeutung dessen zu machen, was hier vor sich ging. Jede Mail war mit dem Attachment von mindestens drei riesigen Kinder- oder Babyfotos versehen, während der dazugehörige Text nur noch aus Kaskaden von Ausrufezeichen, Smileys und Lautgestammel wie „sühüüüß!“ bestand.

Daraus folgte für mich zweierlei: Wenn man ein Klassentreffen von Ü-30-Leuten zu organisieren versucht, wird klar, dass das Demografie-Gerede von den aussterbenden Deutschen eine Lüge ist. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) darf stolz sein auf diese unemanzipierte Generation. Und: Mit Menschen, deren Kommunikation auf eine solche Schwundstufe menschlicher Intelligenz regrediert ist, dass sie glauben, für die bloße Versendung von Babyfotos uneingeschränkte Bewunderung verlangen zu können, will zumindest ich nichts mehr zu tun haben. „Wollt ihr euch um das NS-Mutterkreuz bewerben?“, mailte ich an alle. Als Strafe erhielt ich von jedem 20 Fotos à 2 MB, die meine Mailbox endgültig zusammenbrechen ließen.

JAN SÜSELBECK