Die Entführerin, die sich als Verführte sieht

Souhaila Andrawes (54) überlebte als einzige der Kidnapper die Stürmung der Lufthansa-Maschine „Landshut“, die heute vor 30 Jahren entführt wurde. Sie sieht sich als Opfer der Umstände FOTO: AP

Das Bild ging um die Welt: Souhaila Andrawes, blutüberströmt, auf einer Bahre liegend, reckt die Finger zum Victory-Zeichen. „Kill me, kill me“, ruft sie dabei. Sie bittet um den Tod – und überlebt als einzige der Entführer der Lufthansa-Maschine „Landshut“, die vor dreißig Jahren, am 13. Oktober 1977, gekidnappt wurde.

Heute lebt Andrawes, 54, im Osten Oslos. Über die Vergangenheit möchte sie nur ungern reden. „Es verursacht zu viel Schmerz“, sagte sie der taz. Ein seltsamer Satz, denn schließlich war sie es, die damals als Mitglied des Kommandos „Martyr Halimeh“ Leid über die Geiseln an Bord der „Landshut“ brachte. Andrawes wurde von den Entführten als herzlos beschrieben. Kopilot Jürgen Vietor erinnerte sich in einem Interview: „Sie war die Brutalste, schlug die Geiseln, fesselte sie extrem stramm und übergoss sie mit Alkohol – damit sie besser brennen.“

Andrawes selbst wird bei der Erstürmung der Maschine durch die GSG 9 in Mogadischu angeschossen. An Lunge und Beinen wird sie schwer verletzt. Die drei anderen Luftpiraten sterben. Für die Tat wird Andrawes vor einem somalischen Gericht zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, nach knapp zwei Jahren aber begnadigt. 1991 zieht sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter Leila nach Oslo.

Doch die Vergangenheit holt sie noch mal ein: 1995 wird sie nach Deutschland ausgeliefert und 1996 in Hamburg zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Doch auch diese Strafe sitzt sie nur zum Teil ab: Ein Jahr später wird sie nach Norwegen überstellt, im Dezember 1999 kommt sie wegen gesundheitlicher Beschwerden frei.

Zwar hat sich Andrawes für ihre Tat entschuldigt, in einem Interview mit der taz sagte sie 1997: „Mit dieser Schuld kann ich kaum leben.“ Doch gleichzeitig hat sie sich immer wieder als Opfer von Umständen dargestellt, die ihr keine Wahl ließen. Als verführte junge Frau, die sich, nachdem sie in einem libanesischen Flüchtlingslager Zeugin eines Massakers wurde, der palästinensischen Befreiungsfront anschloss. „Wir waren im Krieg“, sagte sie vor Gericht. Die Verurteilung in Deutschland sah sie als Racheakt der Bundesrepublik an. „Soll ich alle Schuld auf mich nehmen, weil ich die einzige Überlebende des Kommandos bin?“, sagte sie der taz 1997.

Unterhält man sich heute mit Andrawes, bekommt man das Gefühl, dass sie, die Täterin, sich immer noch ungerecht behandelt fühlt. Sie verfolge die Diskussion zum Jahrestag des Deutschen Herbstes aufmerksam, sagte sie der taz. Und es gefalle ihr nicht, was sie in den Medien zu lesen und zu sehen bekomme. „Die Welt ist immer noch auf einem Auge blind“, sagte sie. Noch so ein seltsamer Satz. WOLF SCHMIDT