Pinochet: nicht nur Mörder, sondern Räuber

Zehn Monate nach dem Tod des früheren Diktators Augusto Pinochet geht Chiles Justiz gegen seinen Clan vor

BUENOS AIRES taz ■ Es war eine regelrechte Verhaftungswelle: Gegen 23 Angehörige der Pinochet-Familie hatte der chilenische Bundesrichter Carlos Cerda am Donnerstag wegen der „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ Haftbefehl erlassen. Unter den Gesuchten sind die Witwe des ehemaligen Diktators Augusto Pinochet, seine fünf Kinder, vier ehemalige Generäle, seine langjährige Sekretärin Mónica Ananias und einer seiner Anwälte. Am Abend waren bis auf vier alle in Haft.

Dabei geht es nicht um Menschenrechtsverbrechen, sondern schlicht darum, wie der Clan sein Vermögen angehäuft hat. Nach wie vor ist die Herkunft eines Vermögens von knapp über 20 Millionen US-Dollar ungeklärt (rund 14,2 Millionen Euro). Für das Geld „findet sich keine begründete Rechtfertigung und alles lässt darauf schließen, dass diese im öffentlichen Haushaltfonds zu finden ist,“ so Richter Cerda in seiner 60-seitigen Begründung.

Für die chilenische Regierung ist die Angelegenheit ein rein juristischer Vorgang. Präsidentin Michelle Bachelet kommentierte: „Niemand in Chile soll glauben, er müsse den Anordnungen der Justiz nicht Folge leisten oder stehe gar über dem Gesetz.“

Richter Cerda hatte nachgerechnet, dass der Alleinverdiener Pinochet von 1973 bis 2003 etwas über 2 Milliarden Peso erhalten habe, das Ehepaar Augusto und Lucía im selben Zeitraum aber Ausgaben von 6,3 Milliarden Peso bestritt. Die Differenz „wurde mit dem Geld aufgefüllt, das aus dem Haushalt des Präsidentenamtes, des Militärhauses und der Kommandantur des Armeechefs zunächst außer Landes geschafft und später wiedergeholt worden war“, so Cerda.

Die Ermittlungsergebnisse des Richters rühren aus den Untersuchungen, die mit dem Auftauchen von geheimen Auslandskonten des Clans bei der US-amerikanischen Riggs Bank eingeleitet worden waren. Diese teils unter falschem Namen geführten Konten waren seit 2002 bekannt. Damals versuchte die Bank noch, deren Existenz durch mehrere Transaktionen zu verschleiern. Richtig ins Rollen kam die Angelegenheit, als eine Untersuchungskommission des US-Senats im Juli 2004 die Existenz der Konten offiziell bekannt gab. Noch im selben Monat nahm die chilenische Justiz die Ermittlungen auf. Im Oktober 2005 schätzte die chilenische Justiz in einem Bericht die Summe der über die Konten geflossenen Gelder auf 28 Millionen US-Dollar.

Pinochet wurde mehrfach verhört, seine Immunität als Senator auf Lebenszeit für diesen Fall aufgehoben und ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung, Passfälschung und falscher Vermögensangaben gegen ihn, seine Familie und seine engsten Mitarbeiter eingeleitet. Der Exdiktator selbst wurde unter Hausarrest gestellt. Vor Gericht erschien er jedoch nie. Am 10. Dezember 2006 starb Pinochet im Alter von 91 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts – die Ermittlungen gegen seien Clan jedoch gingen weiter. JÜRGEN VOGT