„Das ist unlogisch, tut mir leid“

Der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Erhard Rex hat die Ermittlungen der Staatsanwälte in Lübeck vorzeitig beendet. Die Indizien, die für Mord sprächen, seien nicht so stark, genauso komme auch Selbstmord in Betracht

ERHARD REX, 63, ist seit 1997 der Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein. Zuvor war er Leiter der Staatsanwaltschaft in Hannover.

INTERVIEW DANIEL WIESE

taz: Herr Rex, Sie sind im Fall Barschel nicht so richtig glücklich mit der Mordthese. Was spricht gegen Mord?

Erhard Rex: Ich bin der Meinung, der Tod ist rätselhaft. Ich vertrete weder einseitig eine Mordthese noch eine Selbstmordthese. Ich meine, dass viele Indizien, die in Richtung Mord gewertet worden sind, nicht den Stellenwert haben. Das betrifft zum Beispiel das zentrale Motiv „Waffenhändler- und Verschwörertheorien“.

Verschwörungstheorien gibt es sehr viele.

Wenn ich bei den Waffenhändlertheorien bleibe, besagen die, dass Dr. Barschel in Waffengeschäfte verstrickt war, dass er gedroht hat, das zu offenbaren und dann nach Genf beordert und dort, als Selbstmord getarnt, professionell ermordet worden ist. Dazu sind mehrere Feststellungen erforderlich, die erste: War Dr. Barschel überhaupt in Waffengeschäfte verstrickt? Dafür gibt es nicht einen einzigen belastbaren Beweis, es gibt keinen einzigen Zeugen, der das aus eigener Anschauung bekunden kann.

Es gab aber das U-Bootgeschäft zwischen HDW-Werft und Südafrika.

Das Waffengeschäft mit Südafrika ist von der Staatsanwaltschaft Lübeck nur am Rande gestreift worden. Wir haben Indizien, dass Barschel verstrickt gewesen sein könnte, die beruhen aber ausschließlich auf Zeugen vom Hörensagen. Es wäre auch unplausibel gewesen, sich vor dem anstehenden Untersuchungsschuss dahingehend zu offenbaren, dass er in kriminelle Waffengeschäfte verstrickt sei. In seinen Aufzeichnungen hat er da auch keine Andeutungen gemacht.

Er hat doch gedroht, auszupacken.

Er hat in einem einzigen Gespräch im politischen Raum gesagt, wenn die in Bonn mich nicht stützen, dann werden sie schon sehen, was sie davon haben. Aber wir wissen, dass praktisch jeder Politiker, der stürzt, solche Bemerkungen macht, das hat Seehofer gemacht, das hat Möllemann gemacht. Vor allem musste er nach Genf beordert worden sein, und er wollte nicht nach Genf fliegen.

Ja, es gibt diese Aussage aus dem Reisebüro, dass er einen Flug nach Zürich verlangt hat. Allerdings hätte er sich auch später verabreden können.

Also er hat den Flug am 8. Oktober gebucht, am 10. Oktober war er in seinem Hotelzimmer. Wenn einer nach Genf beordert wird, dann bucht er einen Flug nach Genf, dabei bleibe ich.

Die Staatsanwaltschaft in Lübeck geht davon aus, dass der Anfangsverdacht auf Mord bestehen bleibt.

Davon gehe ich auch aus, darin unterscheiden wir uns nicht. Ich sage nur: Das ist ein sehr vager Tatverdacht. Sehen Sie, auch die Spuren am Tatort sind nicht eindeutig. Wir fangen an mit einem abgerissenen Hemdknopf. Mord oder Selbstmord? Wer unter Einfluss von Medikamenten steht und anfängt zu taumeln, dessen Bewegungen sind nicht mehr kontrolliert, und der kann sich ganz schnell einen Knopf abreißen. Auch ein Mörder hätte den Knopf abreißen können, aber der wollte ja gerade keinerlei Gewalt erkennen lassen.

Klar, aber wenn es Mord gewesen sein sollte, weisen alle Hinweise auf das Versagen des Mörders hin, den Mord zu vertuschen. Das ist ja logisch.

Schon, aber die Häufung auch ganz dümmlicher Fehler stimmt mich misstrauisch. Nehmen Sie bloß die Fußspuren. Die Badematte und ein Handtuch waren verschmutzt mit Farbspuren von Barschels Schuhen. Die Badematte war zerknautscht, das Handtuch war in den Flur geworfen. Das könnte was mit einem Mord zu tun haben, wenn etwas in diesen Schuh eingefüllt worden ist.

Das ist die Theorie des Giftanschlags durch Hautkontakt, der durch ein Lösungsmittel vorbereitet werden sollte.

Tatsache ist, dass nirgendwo ein Lösungsmittel gefunden worden ist. Aber acht Jahre später hat die Staatsanwaltschaft Lübeck Untersuchungen angestellt. Der eine Gutachter hat erklärt, dass die Spuren vom Eintauchen des Schuhs ins Badewasser kommen könnten. Der andere hat gesagt, allein mit Wasser geht das nicht, aber das Lösungsmittel DMSO könnte bewirken, dass die Farbe abgeht. Wenn dieser Gutachter Recht hätte, hätte der Socken, den Barschel in der Badewanne an hatte, irreversibel zerstört werden müssen.

Vielleicht hat man ihm den präparierten Schuh gar nicht mehr angezogen. Barschel hatte ja in der Badewanne keine Schuhe an.

Nein, die Flüssigkeit im Schuh sollte ja mit der Haut in Kontakt kommen. Man hätte die Socken vorher aus- und dann wieder anziehen müssen, bei einem Menschen, der herumtaumelt. Es sei denn, auch das hat der Gutachter herausgefunden, man hätte das DMSO mit 20 Prozent Wasser verdünnt. Dazu hätte der Täter Testreihen durchführen müssen. Er müsste dann aber so dumm gewesen sein, dass er zwar auf den Socken geachtet hat, aber die Farbspuren an den Schuhen mit einem Handtuch wegwischt, damit es die Polizei auch findet. Cleverer wäre es gewesen, die Spuren mit Toilettenpapier abzuwischen und es wegzuspülen.

Vielleicht waren dem Täter die Spuren egal?

Wenn ihm das völlig egal war und er sagte, lass die Leute das doch finden, dann frag ich mich, welchen Sinn macht dann die Heimlichkeit eines Vorgehens, absolut professionell DMSO in einen Schuh zu füllen, um anschließend zu sagen: Die Spuren soll jeder sehen. Das ist unlogisch, tut mir leid.