Polizei bekämpft Lagerbildung

DEMO Die Polizei geht rigoros gegen Zelten als Protestform vor. Das ist unzeitgemäß, sagt ein Anwalt und beruft sich aufs Verfassungsgericht. Andere Städte erlauben Camps

Wer schläft, so die Argumentation der Polizei, könne nicht demonstrieren

VON MANUELA HEIM

Wer die Straßen vor Banken, Regierungssitzen und Börsen besetzen will, der kann am Abend nicht nach Hause gehen. Deshalb gehört das Zelt zu diesen Protesten dazu wie der Ruf nach mehr Demokratie. Doch ausgerechnet in der Hauptstadt hat die Polizei was gegen Camping als Protestform. „Ein Zelt dient nicht der freien Meinungsäußerung“, heißt es von der Behörde. Das sei ein längst überholtes Verständnis von Demonstrationen, sagt dagegen der Versammlungsrechtsexperte Sven Richwin.

Inspiriert von den Madrider Protesten und der „Occupy Wall Street“-Bewegung in New York waren am Samstag in Berlin und anderen deutschen Städten Zehntausende auf die Straße gegangen. In Berlin zog die Menge bis zur Reichstagswiese. Die liegt in der „befriedeten Zone“ um den Bundestag, hier ist das Versammlungsrecht eingeschränkt. Doch auch an anderer Stelle hätten die Demonstrierenden es mit Zeltprotesten schwer gehabt. Schon die aCAMPada-Bewegung, die sich im August auf dem Alex um ein Protestcamp mühte, musste erfahren, dass die Polizei an dieser Stelle nicht mit sich reden lässt: Mit zum Teil rüden Methoden wurden Zelte konfisziert und Protestierer festgenommen.

Denn – so die Argumentation der Polizei – wer schläft, könne nicht demonstrieren. Campingartikel hätten auch keinen Themenbezug zur Demonstration und fallen deshalb nicht unter das Versammlungsrecht. In keinem einzigen Fall sei daher ein Zeltcamp von der Versammlungsbehörde genehmigt worden. Wer trotzdem Zelte auf einer Kundgebung aufstellen wolle, der müsse dies als Sondernutzung beim Straßen- und Grünflächenamt beantragen – und Geld dafür bezahlen.

Als rückständig verurteilt Richwin den Standpunkt der Berliner Polizei und beruft sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März. Der Versammlungsschutz „ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen“, so das Gericht. Schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens oder die Wahl des Ortes könnten die Teilnehmenden Stellung nehmen. Laut Richwin muss daher gerade das Campieren als zeitgemäße Protestform unter das Versammlungsrecht fallen.

In anderen Städten ist man mit der Auslegung offensichtlich weiter als in Berlin: Vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main und der HSH Nordbank in Hamburg empören sich Zeltprotestler auch noch im Schlaf. Für Berlin setzt Richwin auf einen Gerichtsprozess im November, bei dem er eine kurdische Aktivistin vertritt. Dabei soll es auch darum gehen, ob und in welcher Größe Zelte von der Versammlungsbehörde genehmigt werden müssten.