Dino-Knochen für eine Schule

Eine Braunschweiger Expedition hat in Niger das Skelett eines Riesensauriers ausgegraben und mitgenommen. Keine neokoloniale Ausbeutung, sagen die Forscher: Sie bauen vor Ort eine Schule

Die Sauropoden waren die größten und längsten landbewohnenden Tiere in der Geschichte der Erde. Sie durchstapften Jahrmillionenlang die Welt. Dabei bewegten sich die friedlichen Pflanzenfresser vermutlich in kleinen Gruppen, die in Sachen Grünfutter von Wald zu Wald zogen. Ihre langen Schwänze setzten sie möglicherweise als Waffe ein gegen dreiste Fleischfresser-Feinde, die sich mit den gutmütigen Giganten anlegen wollten. Auch in Niedersachsen müssen einst Sauropoden gelebt haben: Fußabdrücke der Giganten wurden 1980 in Münchehagen am Steinhuder Meer entdeckt. Dort gibt es heute einen „Saurierpark“. LEU

VON HANNES LEUSCHNER

Die Stadt Braunschweig hat einen erstaunlichen Deal gemacht: Forscher des Naturwissenschaftlichen Museums durften im Sahara-Sand Nigers ein halbes Saurierskelett ausgraben und mitnehmen. Im Gegenzug lassen die Wissenschaftler vor Ort eine Schule errichten.

Bei Agadez in der Südsahara hat Ulrich Joger, Direktor des Naturhistorischen Museums Braunschweig, einen „Dinosaurier-Friedhof“ aus der unteren Kreidezeit entdeckt – ungefähr 90 bis 125 Millionen Jahre alt.

Joger hatte Hinweise auf Knochenfunde in dem Wüsten-Gebiet der Republik Niger erhalten und war hingeflogen, um dem nachzugehen. Ein Freund von Joger leitet vor Ort ein Projekt, das zweisprachige Schulen einrichtet. Er vermittelte Kontakte zu den einheimischen Tuareg, die bei der Suche nach Fundstätten helfen.

Im Frühjahr dieses Jahres brach das Expeditionsteam aus Braunschweig mit einem ehemaligen Laborwagen nach Niger auf. Nach 10.000 Kilometern Landweg am Ausgrabungsort angekommen, stellten sie fest, dass man ihnen zuvor gekommen war: Einen zu 70 Prozent erhaltenen Sauropoden einer bislang unbekannten Art, den Joger für die Ausgrabung vorgesehen hatte, hatte ihnen ein Trupp spanischer Paläontologen weggeschnappt.

Die Teams wussten nichts voneinander: Die zuständigen Behörden in Niger hätten die Gruppen nicht voneinander in Kenntnis gesetzt, sagt Joger. Statt des von den Spaniern erbeuteten Sauropoden grub er einen anderen aus, der allerdings nur zu 60 Prozent erhalten ist. Mittels einer an der Technischen Universität Braunschweig entwickelten Technik zum Scannen dreidimensionaler Objekte könnte man die beiden Funde digital ineinander fügen, und das Modell eines nahezu kompletten Sauropoden daraus basteln. Zähneknirschend sind die Braunschweiger bereit, mit den Spaniern trotz des „Dino-Raubs“ zusammenzuarbeiten.

Neben dem Skelett fanden die Braunschweiger auch Wirbelknochen, Zähne von Raubsauriern und Knochenplatten. Und die versteinerten Spuren eines Velociraptors. Den fiesen Fleischfresser kennt man aus Spielbergs Jurassic Park, wo er jedoch aus dramaturgischen Gründen vergrößert dargestellt wurde: Das Viech war zwar ausreichend böse, aber nur etwa hundegroß. Joger hält es für gut möglich, das Skelett des Urzeitfieslings in einer Folgeexpedition ausfindig zu machen.

Eine Auswahl der Funde wurde vergangenen Dienstag im Naturhistorischen Museum vorgestellt. Und ein ungewöhnliches Kooperationsprojekt: Als Gegenleistung für die Grabungs- und Ausfuhrrechte hat der Projekt-Partner Cargo e. V. im Norden Nigers eine bilinguale Schule gebaut, wo die ersten Jahre in der Tuareg-Muttersprache Tamajaq unterrichtet wird, und die Kolonialsprache Französisch erst als Zweitsprache hinzukommt.

Ein Schulgebäude im Tausch gegen Urzeitschätze? Das klingt raubritterlich und ruft die düsteren Geschichten vieler Sammlungen wach, deren Objekte den Indigenen, wenn nicht schlicht gestohlen, dann für ein paar Glasperlen abgeluchst wurden. Joger erklärt, es handle sich nicht um ein Tauschgeschäft, sondern um eine vorerst unbefristete Leihgabe auf Widerruf. In Niger gebe es zwar einige Archäologen, aber nicht einen akademisch ausgebildeten Paläontologen. Die Fundstücke, einmal frei gelegt, bedürften dringend wissenschaftlicher Erfassung und Präparation: Nach einigen Jahren in freier Natur würden sie witterungsbedingt verfallen. Eine wissenschaftliche Infrastruktur, die Funde im Land selbst zu sichern und eine museale, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gebe es schlicht nicht.

Ein wenig wird daran gearbeitet: Zu den vereinbarten Gegenleistungen Braunschweigs gehört auch die Ausbildung von Präparatoren in Niger. Die spanischen Paläontologen versprachen der Republik Niger einen Museumsbau. Dort, denkt Joger, wäre jedoch die Ausstellung eines Dinosauriernachbaus eher am Platz als die fragilen Originalknochen.

Für die Präsentation des Skeletts des noch unbenannten, neu entdeckten Sauropoden wären indes auch die Räume des Braunschweiger Naturkundemuseums zu klein: Ab 2009 soll es in einer nahe gelegenen ehemaligen Fabrikhalle gezeigt werden.