Lucke und seine Leute

RÄNDER Bernd Lucke hat die AfD groß gemacht, zu einem Player im Parteien-spektrum. Jetzt soll sie noch größer werden. Dafür kalkuliert der Vorsitzende mit rechten Wählern. Hat er das im Griff?

■ Struktur: Beim Parteitag an diesem Wochenende entscheidet die AfD, wie viele Chefs sie künftig hat. Bernd Lucke will allein übernehmen, seine Vorstandskollegen Gauland, Petry und Adam wollten das verhindern. Nach einem Streit, der drohte, die Partei zu spalten, einigten sie sich auf eine Staffelung: Erst soll es zwei Chefs, ab Dezember nur noch einen geben. Darüber muss nun abgestimmt werden. Es geht um die politische Richtung der Partei.

■ Masse: Zum AfD-Parteitag kann sich jedes Mitglied anmelden. Mehr als 3.000 haben es getan – weit mehr als erwartet. Der gebuchte Saal ist dafür nicht groß genug. Deshalb wird der Parteitag an zwei Standorten stattfinden, per Videokonferenz verbunden. Allein die Anträge zur Tagesordnung füllen 42, das gesamte Antragsbuch 458 Seiten.

■ Gegner: Für Samstag rechnet die Polizei mit 5.000 Demonstranten, die gegen AfD und Pegida auf die Straße gehen.

AUS STRASSBURG, HAMBURG UND CHEMNITZ SABINE AM ORDE

Keine Kunst, keine Fotos, keine Blumen. Bernd Luckes Büro im achten Stock des Europäischen Parlaments ist nüchtern, gerade zwei Arbeitsplätze passen hinein. Es ist ein Donnerstagmorgen Mitte Dezember, draußen hängt der Nieselregen in der Straßburger Luft. Statt Kaffee anzubieten, legt der AfD-Vorsitzende sein Smartphone auf den Tisch. Er will das Gespräch aufzeichnen, obwohl die Zitate ohnehin danach autorisiert werden. Er ist misstrauisch.

Herr Lucke, driftet die AfD gerade nach rechts?

„Diese Gefahr sehe ich nicht. Jedenfalls nicht, solange ich Parteichef bin“, sagt Lucke sofort. Im Bundestagswahlkampf habe man der AfD vorgeworfen, sie sei eine Ein-Themen-Partei, nur Anti-Euro. „Dabei haben wir auch damals schon viele andere Themen angesprochen, von denen die Frage nach einem geordneten Zuwanderungsrecht eine war.“ In den vergangenen Monaten dann seien Zuwanderung, Asyl und Islam durch die Flüchtlingstragödien und Pegida stärker zum Thema geworden.

Unterstützen Sie das?

„Es ist eine wichtige Themengruppe unter vielen. Sie wird nie das beherrschende Thema der AfD werden.“

Die Frage ist, ob Bernd Lucke das noch verhindern kann.

Die Alternative für Deutschland, kurz AfD, ist knapp zwei Jahre nach ihrer Gründung dabei, sich als neue Kraft im deutschen Parteienspektrum zu etablieren. Im September 2013 verfehlte die eurokritische Partei knapp den Einzug in den Bundestag. Im Mai zog sie mit sieben Abgeordneten ins Europaparlament, im Herbst in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Überfremdungsangst, Islamkritik und die Furcht vor Kriminellen aus Osteuropa: Diese Themen werden immer zentraler. Dazu ein Schuss Polemik gegen das Establishment, ein wenig „Das wird man ja noch sagen dürfen“, das Beschwören der Drei-Kinder-Familie und etwas Ostalgie. Das brachte zuletzt jede zehnte Wählerstimme, in Brandenburg sogar noch mehr.

Die AfD ist zielsicher in den Raum gestoßen, den eine Drei-Prozent-FDP und vor allem die Union mit ihrem Kurs Richtung Mitte geöffnet haben. Etabliert sie sich, kann sie die rechtspopulistische Lücke füllen, die es bislang gibt. Thilo Sarrazins Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“, war dazu der Prolog. Als es vor fünf Jahren erschien, konnten sich 18 Prozent der Wählerinnen und Wähler vorstellen, für eine Sarrazin-Partei zu stimmen. Jetzt gibt es sie – auch wenn Sarrazin in der SPD bleibt.

Die AfD kommt bürgerlich daher. Auch das macht ihren Erfolg aus. Bernd Lucke, 52, Volkswirtschaftsprofessor aus Hamburg, evangelisch-reformierter Christ, Vater von fünf Kindern, ist das Gesicht dazu. Der schmale, jungenhafte Mann präsentiert sich als Ökonom, den es aus Sorge um das Land in die Politik zieht. Von so einem erwartet man doch nichts Böses. Wer vor allem Lucke wahrnimmt, kann die AfD wählen und den Wut und den Hass übersehen, der die Partei immer stärker prägt.

Lucke weiß: Damit die AfD bleibt, braucht er auch Stimmen von rechts außen. Gezielt hat er, der selbst teils wirtschaftsliberal, teils knochenkonservativ ist, entsprechende Signale gesendet. Hat versucht Sarrazin für die Partei einzuspannen, spricht mal von Zuwanderern als „sozialem Bodensatz“, mal von „entarteter Demokratie“. Glaubt der Ökonom, auch dieses Risiko kalkulieren zu können? Er will die Wähler von rechts gewinnen, die AfD aber nicht zu einer rechtspopulistischen Partei machen.

Ihr Spektrum reicht von Neoliberalen wie dem ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, Mitglied bei Amnesty International, bis zu Alexander Gauland und Frauke Petry, den mächtigen Landeschefs in Brandenburg und in Sachsen. Der eine nannte Pegida die „natürlichen Verbündeten der AfD“ und will Zuwanderung aus dem Nahen Osten stoppen. Die andere ist in Dresden so nah an Pegida dran, dass sie die Presse über den Rücktritt des Frontmanns Lutz Bachmann informierte, bevor es Pegida selbst tat.

Bernd Lucke hebt in seinem kleinen Büro die Hände vor die Brust, doch die Kette mit dem Hausausweis ist im Weg. Er schiebt sie zur Seite. „In der AfD gibt es zu einzelnen Themen sehr unterschiedliche Meinungen“, sagt er dann. „Da muss man die Partei durch einen vernünftigen Interessensausgleich zu einen versuchen, nicht völlig, aber doch so, dass die verbleibende Meinungsspanne von allen akzeptiert werden kann.“ Das sei die Aufgabe des Vorsitzenden, „als der ich ja weithin wahrgenommen werde“.

An diesem Wochenende soll der Bundesparteitag eine Satzungsänderung verabschieden, die Lucke zum alleinigen Vorsitzenden machen könnte, ab Dezember. Die Entscheidung hat er sich hart erkämpft. Segnen die Mitglieder sie in Bremen auch ab? Bei der AfD darf jedes Mitglied auf dem Parteitag abstimmen, hitzköpfige Diskussionen inklusive.

Lange hatte die AfD-Führung über die Frage gerungen. Es geht darum, ob die Partei künftig einen oder weiter drei Vorsitzende hat. Es geht aber auch um persönliche Verletzungen, Kritik an Luckes autoritärer Art und die Frage, wie weit rechts sich die AfD politisch verortet. Der Umgang mit Pegida, die Russland-Frage, das Freihandelsabkommen TTIP – Streitthemen gibt es genug. Lucke musste erst mit Rücktritt drohen, um sich gegen Gauland, Petry und den Vorstand Konrad Adam durchzusetzen.

Im Moment ihrer Niederlage wirkt Frauke Petry erschöpft. Ein Freitag Mitte Januar, gerade hat der Bundesvorstand den Kompromiss öffentlich gemacht, jetzt ist in der Parteizentrale in Berlin-Tiergarten Mittagspause. Petry ist blass, sie bringt ihre Suppe zum Gespräch mit. Es sei „ein guter Kompromiss“, sagt sie. Schließlich gebe es bis Ende des Jahres eine Doppelspitze. Dafür wird sie antreten.

Petry propagiert die traditionelle Drei-Kinder-Familie für alle Deutschen, will Volksabstimmungen für den Bau von „Moscheen mit Minarett“ und eine „Deutschquote“ im Radio. In ihrem Landesvorstand sitzt ein Exfunktionär der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“, ein anderer ist ihr Pressesprecher.

Kein Rechtsruck, sagt Petry. Weil sie rechts sind?

„Wir wollten nie ohne Bernd Lucke, wir haben uns deswegen aufeinander zu bewegt“, sagt sie und fischt ein paar Teigstreifen aus der Suppe. Die Chance der AfD liege in ihrer programmatischen Breite. Zuwanderung, Asyl, Islam: „Diese Diskussionen gehören aus der Schmuddelecke raus“, sagt sie. „Sonst überlassen wir sie extremen Parteien.“ Sie finde nicht, dass die AfD nach rechts rücke.

Weil sie dort schon ist?

„Lucke spricht“, steht auf dem Plakat vor der Klinkerfassade des Ramada-Hotels in Hamburg-Bergedorf. Die SPD hat hier bei der Bürgerschaftswahl vor vier Jahren 50,1 Prozent geholt. Am 15. Februar wird wieder gewählt. Die AfD muss zeigen, dass sie auch im Westen gewinnen kann.

Rund 250 Leute sind an diesem Donnerstag Ende November in einen Tagungsraum gekommen, mehr Alte als Junge, mehr Männer als Frauen, einige junge Antifa-Aktivisten haben sich unters Publikum gemischt. An der Bar wird Bier gezapft.

Lucke spricht über den Kommissionspräsidenten Juncker und seine Luxemburger Steueroase, über Negativzinsen und Kindermangel. Applaus. Die Antifas buhen, rufen dazwischen. „Später können sie gerne eine Frage stellen“, sagt Lucke freundlich und redet weiter. Er kann gut deeskalieren, wenn er will.

Dann kommt das Thema, das alle elektrisiert. Man müsse, sagt Lucke, zwischen Armuts- und Kriegsflüchtlingen unterscheiden. „Unserer Hilfe bedürfen die Letzteren: die Menschen, die alles verloren haben. Es sind Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen, die eine neue Heimat brauchen.“ Fragende Blicke. Will der Chef der AfD wirklich Millionen Flüchtlinge aufnehmen?

Lucke nimmt die Kurve. „Ich glaube“, sagt er nun, „dass man sie so heimatnah wie möglich wieder Wurzeln schlagen lassen sollte.“ Die arabischen Länder sollen die meisten aufnehmen. Deutschland soll finanziell helfen. „Das ist eine moralische Pflicht.“ Applaus brandet auf.

So macht Lucke das oft. Er führt Themen politisch korrekt ein, bis man sich fragt, was an dem Mann denn so schlimm sein soll. Dann die Wende: Auf einmal klingen Abschiebungen wie ein humanitärer Akt.

„Wir haben 60 Millionen Migranten“, sagt jetzt einer im Saal. „Die Zuwanderer plus Flüchtlinge plus alle, die kommen wollen, das ist nicht mehr zu stoppen.“ Lucke sagt nicht: Was reden Sie da für einen Quatsch. Er sagt: Ich stimme Ihnen da nicht ganz zu. Dann bringt er das Auswahlsystem ins Spiel, mit dem Kanada integrationsfähige Zuwanderer aussuche, die dem Land nützen. Andere müsse man ja nicht aufnehmen. So gebe es eine „fast vollständige Assimilation“.

Ich stimme Ihnen da nicht ganz zu. So nimmt er sich der Wirrköpfe, der Verschwörungstheoretiker an. Er korrigiert vorsichtig, verwässert ihre Position – und hält sie doch dabei. Schließlich sollen sie ihn wählen.

Bernd Lucke war 33 Jahre lang in der CDU, mit 14 schon ging er in die Junge Union. Er hat in Bonn studiert, an der Freien Universität Berlin seine Doktorarbeit und seine Habilitation geschrieben, bevor er Professor in Hamburg wurde. Ein „kluger und logischer Denker“, sagt Jürgen Wolters, der in Berlin sein wissenschaftlicher Mentor war.

2011 gründete Lucke ein „Plenum der Ökonomen“, das sich gegen den Eurorettungsschirm aussprach. Als Merkel die Rettungspolitik als alternativlos bezeichnete, verließ er die CDU. Mit Gauland, der früher die Staatskanzlei von Hessens Hardliner-CDU leitete, und dem ehemaligen FAZ-Redakteur Konrad Adam gründete er die AfD. Wie jede neue Partei zieht die AfD Querulanten und Verirrte an. Regelmäßig tauchen aber auch Mitglieder auf, die früher bei NPD, DVU oder Republikanern waren. Die Staatsanwaltschaft Rostock hat Anklage wegen Volksverhetzung gegen den AfD-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern erhoben, sein hessischer Kollege wird des Amts enthoben, weil er den Umfang seines Engagements bei den Republikanern verschwieg. AfD-Politiker in Duisburg und Greifswald stimmen mit NPD und Pro NRW.

Lucke hört sich die Beispiele an, kurz schweift sein Blick in den Straßburger Regen.

Hat die AfD hier ein strukturelles Problem?

„Einzelfälle“, sagt der Parteichef: „Gegen solches Verhalten haben wir mit Ordnungsmaßnahmen bis zum Parteiausschluss reagiert. Mit der NPD haben wir nichts zu schaffen.“

Lucke forderte früh, dass die AfD alle ehemaligen Mitglieder von NPD, DVU und Republikanern abweist. In der Gründungssatzung vom April 2013 steht aber nur, dass neue Mitglieder aus Organisationen, die „deutsche Sicherheitsorgane“ als extremistisch einstufen, dies angeben müssen. Der Einzelfall müsse geprüft werden. Allein für die NPD ist die Abgrenzung beschlossen. Mitglieder der islamfeindlichen Splitterpartei „Die Freiheit“ dagegen, die mit dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders anbandelte, wechselten scharenweise zur AfD. Im Oktober 2013 verkündete Lucke einen Aufnahmestopp. Petry und Gauland wehrten sich. Lucke musste nachgeben. Seine erste große Niederlage.

„Lucke ist kein Rechter“, sagte eine Liberale, die ging

Die einzige Grenze, die alle in der AfD scharf ziehen, ist die zum offenen Antisemitismus. Wie die Rechtspopulisten in Frankreich und den Niederlanden hat sich die AfD von Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus verabschiedet. Als eine antisemitische Karikatur auf der Facebook-Seite eines brandenburgischen Landtagskandidaten bekannt wurde, folgte umgehend ein Parteiausschlussverfahren.

Viele Liberale haben inzwischen die Partei verlassen. Eine ist Michaela Merz, die von der FDP zur AfD gekommen war. Merz lebt als Softwareentwicklerin mit eigenem Unternehmen in Eisenach und in Houston, Texas. Sie war im AfD-Bundesvorstand und Thüringer Landeschefin. Nach gut einem Jahr hatte sie genug. „Ernsthafte bürgerlich-liberale Politik gibt es in der AfD nicht mehr“, sagt sie am Telefon. Sie ist gerade in den USA.

Dennoch: „Lucke ist kein Rechter.“ Er lade diese Wählergruppe zwar wohlüberlegt ein, „aber ich glaube nicht, dass er so denkt“.

2013 habe Lucke fest damit gerechnet, sie würden in den Bundestag einziehen. Das Scheitern erkläre er sich auch damit, dass er nicht alle Wähler mitgenommen hat. Jetzt holt er die von außen ran. Und riskiert, noch mehr Liberale zu verlieren.

Lucke kalkuliere klug, sagt Merz. Wie ein Volkswirt eben. Nur unterschätze er Individuen und Emotionen. „Er hat die Büchse der Pandora geöffnet. Jetzt bekommt er sie nicht mehr zu.“

In Straßburg in seinem Büro arbeitet sich Bernd Lucke konzentriert durch die Fragen. Ruhige Erklärstimme. Immer freundlich, nur gelegentlich ein Hauch von Genervtheit.

Konrad Adam, einer seiner Kovorsitzenden, hat Verständnis für die Angst vor Islamisierung bekundet, die allwöchentlich in Dresden Tausende auf die Straßen bringt. Dieses Verständnis teile er nicht, sagte Lucke in der Talkshow von Günther Jauch.

Herr Lucke, kann man mit so unterschiedlichen Einschätzung zusammen eine Partei führen?

„Ich selbst sehe keine Islamisierung“, sagt Lucke. „Damit meine ich, dass ich nicht sehe, dass die deutsche Bevölkerung in großer Anzahl zum Islam konvertiert.“ Aber er höre auch, dass die Menschen sagen, es werden immer mehr Muslime, und Angst haben, dass sie irgendwann die Mehrheit stellen. Dagegen könne man sicher viel einwenden. „Aber rational kommt man an die Angst nicht ran. Ich würde mich auch nicht wohl fühlen bei dem Gedanken, dass die Mehrheit in Deutschland eines Tages streng muslimisch sein könnte.“

Er windet sich.

Auf Facebook hatte Lucke gepostet: „Ich halte die Forderungen der Pegida für legitim.“ Als Jauch ihn Mitte Dezember damit konfrontiert, versucht er sich rauszureden. Das sei ein Mitarbeiter gewesen. Es ist einer der wenigen Momente, in denen der Eindruck entsteht, Lucke könnten die Dinge auch entgleiten.

Die Pegida-Demonstranten sind eine Chance für die AfD. Und eine Gefahr. Lucke sagt, er will „den Schulterschluss“ vermeiden. Aber er entscheidet das nicht allein.

Ein Samstagnachmittag Mitte Januar, der AfD Kreisverband Chemnitz hat zum Vortrag über „Asyl, offene Grenzen und die Folgen“ in den zweiten Stock des Solaris-Turms geladen, ein Bürogebäude an einer der Ausfallstraßen. Knapp hundert Leute sind gekommen, es wäre noch mehr Platz.

Vor dem Publikum, das wieder eher männlich und grauhaarig ist, steht Frigga Tiletschke. Der Kreisvorsitzende stellt sie als Historikerin vor. Tiletschke trägt die Haare kurz, die schwarze Hose hat sie in die Stiefel gesteckt. Sie kommt aus Bielefeld, wo sie Migranten Deutsch beibringt.

Am Tag zuvor war sie bei der AfD in Dresden, hat danach die Pegida-Organisatoren vor ihrem Auftritt bei Günther Jauch beraten. Am Abend wird sie bei der AfD im Erzgebirge auftreten.

Frigga Tiletschke verbindet Pegida und AfD.

Links und rechts von ihr große Fenster, der Januarhimmel ist trübe und schwer. Tiletschke wirft Kurven und Zahlen an die Wand, Gesetze und Vorschriften. Einige Zuhörer nicken ein. Doch manche Sätze lassen aufhorchen. „So wie es jetzt ist, geht es in die Katastrophe“, sagt Tiletschke. „Sie sehen, wie es sich von Jahr zu Jahr aufschaukelt.“ Es werde behauptet, es gebe mehr Kriege. „Aber das ist Quatsch“, sagt sie. „Die Gewalt heutzutage geht von den Sunniten aus.“

„Noch“, sagt Tiletschke, „sind wir die Mehrheitsgesellschaft.“ Ohne nationale Identität und Stolz könne man nicht leben. Sozialstaat und Asylrecht nennt sie „nicht kompatibel“, die Integrationsfähigkeit von Muslimen sei „total gering“.

Nach eineinhalb Stunden klatschen alle. Gut, dass es mal eine sagt.

Ein älterer Mann mit Glatze meldet sich: „Wenn einer aus Tansania kommt und sagt, er hat 15 Kinder, bekommt er dann Kindergeld?“ Ein Junger in kariertem Hemd will „lieber mit 70 Millionen Deutschen leben als zehn Millionen durchzufüttern“. Im Hinausgehen sagt eine ältere Blonde zu ihrem Mann: „Siehst du, mit den Muslimen, das geht so nicht. Das hat sie auch gesagt.“

Bernd Lucke sagt, er kenne Frigga Tiletschke nicht.

In Straßburg blickt er jetzt auf die Uhr. In wenigen Minuten muss er ins Plenum.

„Wir wollen eine Volkspartei sein“, sagt Lucke. „Deshalb muss sich die AfD stärker den Themen des Volkes annehmen, und dazu zählen neben vielen anderen nun mal auch Zuwanderung, Ausländerintegration und – vielleicht – Islam.“

Lucke will 2017 in den Bundestag, unbedingt. Er scheint bereit, dafür weit zu gehen.

■ Sabine am Orde, 48, ist Inlandskorrespondentin der taz