„Die Reichen sind unsere letzte Chance“

Thomas Druyen war einmal selbst Privatbankier und will heute als Soziologe lieber etwas für die Rettung der Welt tun. Er setzt dazu auf das Vermögen und die Verantwortung der Superreichen und fordert: „Solchen Leuten sollte man mal besser zuhören“

THOMAS DRUYEN, Jahrgang 1957, ist der Schwiegersohn von Udo Jürgens und Professor für vergleichende Vermögenskultur an einer Wiener Privatuniversität. Zuletzt erschien von ihm: „Goldkinder. Die Welt des Vermögens“ (Murmann Verlag).

VON ASTRID GEISLER

taz: Herr Druyen, als einer der wenigen Wissenschaftler in Deutschland forschen Sie in der Welt der Superreichen. Fühlen Sie sich wohl in diesen Sphären?

Thomas Druyen: Ich bin da nur Besucher, ich beobachte diese Welt als Soziologe.

Sie bringen aber besonderes Vorwissen mit: Sie haben als Direktor der Privatbank des Fürstentums von Liechtenstein gearbeitet – und an der Seite Ihrer Frau Jenny Jürgens die Welt der Prominenten erkundet …

Aber mein eigener Alltag sieht anders aus. Dass ich mich mit fast fünfzig entschieden habe, meine Bankkarriere aufzugeben und nur noch Wissenschaftler zu sein, das sagt doch alles. Ich verzichte dafür auf viel Geld. Meine Frau ist zwar unter Prominenten aufgewachsen, aber wir leben heute zurückgezogen. Die VIP-Welt bedeutet uns nichts. Manches daran empfinde ich im Gegenteil als abstoßend.

Zum Beispiel?

Wenn Reiche der Gesellschaft einen lasziven Luxus vorleben. Das ist ein Leben nur für die eigene Egozentrik. Dafür habe ich keine Sympathien.

Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von Reichen reden? Sind Sie selbst zum Beispiel reich?

Ich? Absolut nicht. Ich bin Hochschullehrer, nicht verbeamtet. Vermutlich muss ich arbeiten, bis ich 70 bin. Aber Ihre Frage thematisiert ein entscheidendes Defizit: reich, vermögend, wohlhabend – wir reden ständig darüber, haben aber nicht mal eine Definition. Ein Ziel meines Forschungsprojekts ist deshalb, erst mal die Begriffe zu klären.

Wie viel muss denn jemand haben, damit Sie bei ihm ein Interview anmelden?

Ich selbst kümmere mich an meinem Lehrstuhl in Wien nur um die sogenannten Superreichen – das sind die Leute, die mehr als 150 Millionen Euro haben.

Und was wollen Sie über diese Luxusgeschöpfe herausfinden?

Reiche, die nur reich sind, interessieren mich nicht. Ich befasse mich mit einer Unterauswahl, ich nenne sie die Vermögenden. Das sind Philanthropen; Leute, die mit ihrem Geld etwas für die Gesellschaft tun wollen. Ich möchte, dass wir differenzierter über Reiche reden: über jene, die ihr gesamtes materielles Arsenal nur für sich selbst einsetzen. Und über Vermögende, die viel Geld in humanitäre Projekte stecken.

Für Reiche ist es doch nur nützlich, auch mal was Gutes zu tun – das bringt freundliche Schlagzeilen. Madonna muss nur ein Waisenkind aus Malawi adoptieren, schon ist sie weltweit im Gespräch.

Richtig, aber solche Aktionen haben für mich keinen Vorbildcharakter. Im Gegenteil: Ich finde es höchst peinlich, das medial so auszuschlachten. Natürlich ist es gut, wenn man Waisenkinder aus der Armut befreit. Aber dazu kann man auch Schulen finanzieren, wo tausende Kinder lernen können.

Finden Sie es denn löblich, wenn sich der Rocksänger Bono mit Angela Merkel trifft, um auf den Hunger in Afrika aufmerksam zu machen?

Mich würde eher interessieren, was der selbst stiftet. Ich bezweifle, dass Bono ein Vermögender ist.

Wieso?

Dass er Angela Merkel trifft und mit Bill Clinton schmust, ist doch allein noch kein Kriterium humanitären Handelns. Ich sehe ihn immer nur mit Staatspräsidenten und einer rosa Brille herumlaufen. Das ist für mich Humanitätstourismus, der viel mit Eitelkeit zu tun hat.

Und was versprechen Sie sich von Interviews mit den wahren Wohltätern?

Meine Arbeit ist kein Friede-Freude-Eierkuchen-Projekt. Dass die Schere zwischen Arm und Reich größer wird, das ist nicht nur schlecht, das ist katastrophal. Ich denke, wir haben nur eine Chance: Wir müssen gezielter an die Selbstverpflichtung der vermögenden Klientel appellieren. Mein Ziel ist deshalb eine neue Philanthropie.

Wen haben Sie im Sinn, wenn Sie über ultrareiche Philanthropen reden?

Wir müssen nur nach Amerika schauen: Da geht so ein Warren Buffet hin und steckt 90 Prozent seines Vermögens in die Stiftung von Bill Gates. Das ist wirklich eine großartige Sache. Die Gates-Stiftung hat inzwischen mehr Geld zur Verfügung als die Weltgesundheitsorganisation.

Aber Bill Gates ist mit geschätzten 56 Milliarden Euro Vermögen weiter der reichste Mensch der Welt, Warren Buffet rangiert mit 52 Milliarden auf Platz zwei. Wieso sollen wir so pervers reiche Leute bewundern?

Natürlich kann man immer sagen: Der muss noch mehr spenden. Aber schauen wir uns doch mal den Lebenswandel von Warren Buffet an. Der lebt immer noch in dem Haus, wo er angefangen hat. Der hat sich keine saudi-arabische Villenlandschaft zugelegt. Der sagt ganz klar: Wir müssen der Gesellschaft etwas zurückgeben. Solchen Leuten sollte man mal besser zuhören. Die reden schließlich sogar von höherer Selbstbesteuerung.

Steuern sind ein gutes Stichwort. Wenn Sie wollen, dass die Superreichen mehr abgeben, warum reden Sie dann so viel vom Spenden und Stiften – und fordern nicht einfach eine saftige Vermögensteuer?

Die Frage ist: Hat der Staat in den letzten 20 Jahren bewiesen, dass er mit dem Geld optimal umgehen kann? Ich habe da meine Zweifel. Diese Schuldenanhäufung, die wir erleben, die unternehmerische Inkompetenz in Bürokratien, all das macht den Staat für mich nicht zum idealen Verwalter weiterer Milliardensummen.

Aber die Superreichen haben doch in den vergangenen zwanzig Jahren auch nicht bewiesen, dass Sie bereit sind, freiwillig genug für die Gemeinschaft zu tun. Wieso sollte man denen dann nicht auch mal die Daumenschrauben ansetzen?

Moral und Ethik allein haben nie ausgereicht, um Menschen zum wohltätigen Handeln zu bewegen, es braucht auch ökonomische Anreize. Ich mache mich deshalb dafür stark, dass Stiften und humanitäre Aktionen steuerlich stärker begünstigt werden. Die Steuergesetzgebung muss so sein, dass es sich für Erben tausendmal mehr lohnt, etwas Gutes mit dem Geld zu tun, als die Millionen quasi durch den Schornstein zu jagen.

Okay, Sie dürfen natürlich auch gar nicht als Vorkämpfer der Vermögensteuer auftreten – sonst würden die Superreichen Ihnen gar nicht mehr die Tür aufmachen …

Ich bin Wissenschaftler, ich bin nicht auf die angewiesen. Ich plädiere für ein sanftes Modell der Besteuerung des Vermögens – das heißt: philanthropisches Handeln belohnen, Luxusorientierung hart besteuern. Wer mir deshalb die Tür zuhaut, mit dem will ich auch gar nicht sprechen.

Ist es nicht gefährlich für eine Gesellschaft, sich zunehmend auf die Spendierlaune der Vermögenden und deren womöglich nicht ganz uneigennützigen Vorlieben zu verlassen?

Unbestritten birgt das eine Gefahr. Aber um die zu bannen, haben wir doch die Politik. Sie muss das Spendenwesen eben kontrollieren und kanalisieren. Die Behörden müssen sagen: Hier haben wir ein Bildungsproblem, hier droht 45 Theatern die Schließung, hier würden sich Stiftungen lohnen.

Wenn es nach Ihnen ginge, dann sollten unsere Kinder also demnächst alle auf Udo-Jürgens-Privatschulen gehen und in der Coca-Cola-Mensa zu Mittag essen?

Nein, bloß nicht. Wenn sich jede Nase, die in etwas stiftet, dafür ein Denkmal errichten lassen will, bekommt unser Land irgendwann musealen Charakter. Eine Coca-Cola-Grundschule hätte für mich auch nichts mit Philanthropie zu tun. Das ist Kultursponsoring: Unternehmen setzen Geld ein, um sich dem Konsumenten näher zu bringen.

Wenn man Ihr jüngstes Buch liest, bekommt man dennoch das Gefühl, Sie wollten vor allem den angekratzten Ruf der Reichen aufpolieren.

Mich hat mal jemand gefragt: Wollen Sie der Robin Hood der Reichen werden? Nein, da lache ich mich tot! Denen, die mit ihrem Geld nichts für die Gemeinschaft tun, will ich sogar zu einem schlechteren Ruf verhelfen.

Noch schlechter? Geht das?

Oh ja. So schlecht ist das Image doch gar nicht. Es ist immerhin so gut, dass sich fast jeder Mensch danach sehnt, reich zu werden.

Sie träumen auch davon, die Superreichen dieses Planeten könnten gemeinsam den Hunger in der Welt besiegen. Sind Sie ein wenig naiv?

Vielleicht ist das naiv, ich hatte selbst zwischenzeitlich große Zweifel an der Idee. Aber gerade die Hochvermögenden, mit denen ich in letzter Zeit geredet habe, halten das Projekt für gar nicht so absurd, sondern spannend. Es ist sogar schon eine ausländische Universität auf mich zugekommen, die dieses Projekt gerne umsetzen würde. Schließlich geht es auch nur darum, den Hunger zu bezwingen.

Nur!?

Nach Berechnungen des UN-Ökonomen Jeffrey Sachs bedarf es dafür etwa 160 bis 180 Milliarden Dollar pro Jahr. Diese Summe ist leicht machbar.

Wie viele Milliardäre brauchen Sie?

Wir setzen nicht nur auf Milliardäre, sondern auf alle, die über 200 Millionen Euro haben. Ich denke, 800 Leute aus dieser Liga würden reichen. Vielleicht könnten wir sogar einen Mann wie Gates dafür gewinnen, dann bräuchte man insgesamt sicherlich weniger Spender.

Wie kommen Ihre Ideen bei anderen Soziologen an?

Wer mich persönlich kennt, findet meine Arbeit absolut okay. Es gibt sicherlich Kollegen, die sagen, der Arschkriecher arbeitet für seinen eigenen Vorteil. Eines Tages stellen ihm die Reichen zum Dank einen Ferrari vor die Tür. Aber das ist natürlich Unsinn.

Vielleicht gehen Sie ja stattdessen als Weltverbesserer in die Geschichte ein …

Da denke ich lieber nicht drüber nach. Mir gibt es mehr, ab und an ins Kloster zu gehen. Das ist meine seelische Heimat, da komme ich wieder auf den Boden. Mit dem Ruhm ist es schließlich wie mit dem Reichtum – der verdirbt einem nur den Magen.