Neonazis in Rigaer Regierung

LETTLAND Konservative, Rechtsnationale und Rechtsextreme bilden die neue Koalition. Der Wahlsieger vom September wird als „Russenpartei“ diffamiert und muss in die Opposition

Die Partei ist Mitveranstalter der jährlichen Feiern der let-tischen SS-Veteranen

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Die Parteiführung hört es nicht gern, wenn man „Visu Latvijai! („Alles für Lettland!“) als Neonazipartei bezeichnet oder ihr faschistische Züge vorwirft. Doch wie anders soll man eine Partei charakterisieren, die in Programmatik und Symbolik – bis hin zur Parteiuniform mit der Runen-Armbinde – solche Bezüge ganz bewusst selbst herstellt? Die Hunderttausende nur wegen ihrer ethnischen – russischen – Herkunft aus dem Land deportieren möchte. Und deren Aktivisten als Mitveranstalter der jährlichen Feiern der lettischen SS-Veteranen und bei gewaltsamen Protesten gegen Schwule und Lesben von sich reden machen.

Die Rechtsaußenpartei übernimmt in Lettland nun erstmals Regierungsverantwortung. Das kündigte der bisherige und künftige Ministerpräsident Valdis Dombrovskis am Montagabend an. Neben dem konservativ-liberalen Parteienbündnis „Einheit“, das bei den Wahlen im September drittstärkste Kraft geworden war, und der zweitplatzierten „Zatlers Reformpartei“ des ehemaligen Staatspräsidenten Valdis Zatlers ist die „Nationale Allianz“, in der sich die rechtsnationale Exregierungspartei „Für Vaterland und Freiheit!“ mit der rechtsextremen „Alles für Lettland!“ vereinen, Teil der neuen Koalition. Der Sieger der Parlamentswahlen vom 17. September, das sozialdemokratische „Harmonie-Zentrum“, das 28,4 Prozent errungen hatte, muss damit erneut in die Opposition. Das „Harmonie-Zentrum“ repräsentiert vorwiegend den russischsprachigen Bevölkerungsteil. Die „Russen-Partei“ hatte sogar in Aussicht gestellt, für die Bildung einer Koalition ausdrücklich anzuerkennen, dass die „Lettische Sowjetrepublik“ von 1940 bis 1990 eine Okkupation des Landes durch Moskau gewesen sei.

Der künftige Ministerpräsident Dombrovskis erklärte, er sehe keinen Grund, die „Nationale Allianz“ wegen extremistischer Ansichten „zu bestrafen und in der Opposition zu belassen“. Das lettische Menschenrechtszentrum verbreitete dagegen ein Statement, in dem es als „untragbar“ bezeichnet wird, wenn „Rechtsradikale Teil der Regierung eines EU-Landes werden“.

Mit ihrer nationalistischen Propaganda und dem Ruf nach einem starken Staat konnte die „Nationale Allianz“ im von der Wirtschafts- und Finanzkrise stark gebeutelten Lettland ihren Stimmenanteil gegenüber den Wahlen von 2010 auf 14 Prozent nahezu verdoppeln. Dombrovskis hat mit der Rechtsaußenpartei vereinbart, dass diese in der Koalition keine Alleingänge bei Themen wie der „Repatriierung“ der russischen Bevölkerung, dem Status der russischen Sprache an den Schulen und Staatsbürgerschaftsfragen machen dürfe. In seiner Regierungserklärung will er betonen, dass es unter rechtlichen und moralischen Gesichtspunkten in Lettland heute keine „Okkupanten“ mehr gebe. Der „Nationale Allianz“-Vorsitzende Raivis Dzintars hat bereits klargemacht, dass das die Einschätzung seiner Partei nicht ändere: In Lettland lebende Russen mit militärischem Hintergrund seien Okkupanten, alle anderen „illegale Kolonialisten“.