Verdammt lang her

Vor dem Amtsgericht werden die Stahlwerke ab heute in die Zeit ihrer größten Krise zurückversetzt: Angeklagt ist ein millionenschwerer Betrug, der mittlerweile schon verjährt sein könnte

von Jan Zier

Die Sache ist „arg lang her“, das sagt selbst Amtsrichter Hans Ahlers, der den Fall ab heute verhandelt. Es geht um millionenschweren Betrug an den Stahlwerken Bremen – doch womöglich ist er bereits verjährt. Oder aber: Der Angeklagte muss freigesprochen werden – aus Mangel an Beweisen.

S. soll sich von 1998 bis 2001, gemeinsam mit dem ebenfalls angeklagten Betriebsleiter F. an der Bremer Hütte bereichert haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden vor, bewusst und gezielt minderwertige Ware geliefert zu haben – aufbereitete Abfallstoffe, so genanntes Fein- und Separationseisen. Den Schaden bezifferten die Stahlwerke – damals noch den Klöckner-Werken zugehörig – auf über vier Millionen Mark.

Der alte Herr S., einstmals Chef einer inzwischen untergegangenen Firma, ist mittlerweile 78 Jahre alt. Gerade eben ist seine Frau gestorben, 50 Jahre waren die beiden miteinander verheiratet. Und der Prozess, sagt der Verteidiger, könnte sich „problemlos“ auch über mehrere Jahre hinziehen könnte, wie der Verteidiger anmerkt. „Wenn man das will.“

Das Ganze geschah zu einer Zeit, als die Bremer Hütte kurz vor dem Aus stand. „Es ging uns damals nicht besonders gut“, erinnert sich Stahlwerke-Sprecher Dirk Helm. Eine gelinde Untertreibung: 2002 fuhren die Bremer Stahlkocher gut 60 Millionen Euro Verlust ein. Die Absatzmärkte brachen weg, die Kosten liefen davon. „Das Werk stand auf der Kippe.“ Ein Sanierungsprogramm namens „Fit“ baute jeden dritten Arbeitsplatz ab. Mit anderen Worten: Die Stahlwerke mussten jeden Heller mehrmals umdrehen.

Das haben auch die internen Revisionäre der Stahlwerke gemacht, wenn auch nicht ob der pikanten finanziellen Lage des Standortes Bremen, wie heute betont wird. Zeugen- und Videobeweise wurden gesammelt, dazu das hauseigene technische Labor befragt. Um zu beweisen, dass die Herren S. und F. sie bewusst getäuscht haben, über drei Jahre hinweg, mit halbwertigem Rohmaterial, dass nicht den geforderten Mindesteisengehalt aufwies.

Und nur wenn sie das beweisen können, war es auch ein Betrug, rein juristisch betrachtet. Und nicht einfach nur ein keineswegs sträfliches technisches Versehen. Bei einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre Knast, jedenfalls wenn es gewerbsmäßiger Betrug war. Beim Amtsgericht indes dürfen sie gar nicht mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe verhängen, und selbst das, sagt Ahlers, sei in diesem Fall „nicht realistisch“.

Die Angeklagten hätten die Vorwürfe ohnedies bestritten, sagt Ahlers, es steht also eine „umfangreiche Beweisaufnahme“ an. Sechs Verhandlungstage sind angesetzt, fürs Erste. Die Verteidigung geht davon aus, dass die Stahlwerke Bescheid wussten, und das nicht erst 2002, als sie auch Anzeige erstatteten. Schließlich seien die einzelnen Chargen regelmäßig geprüft und chemischen Analysen unterzogen worden. Die Eisenwerte waren durchaus bekannt, sagt die Verteidigung.

Dass der Fall erst jetzt verhandelt wird, liegt unter anderem daran, dass er bereits einmal ausführlich verhandelt worden ist – vor einem Zivilgericht, als es um Schadensersatz ging. Von Täuschung, von Betrug war da noch gar keine Rede. Zugleich bekamen die Stahlwerke am Ende 2,5 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen – doch auch das ist schon wieder zwei Jahre her. Und das Geld gesehen hat die Bremer Hütte auch noch nicht. Weitere Ermittlungen folgten, ehe im November vergangenen Jahres Anklage erhoben wurde. „Wir würden eine Verurteilung begrüßen“, sagt Helm.

Doch für gewöhnlich verjährt Betrug schon nach fünf Jahren – kann aber unter besonderen Umständen um bis zu fünf Jahre verlängert werden. Die Staatsanwaltschaft sieht ihren Prozess also nicht in Gefahr. Die Verteidigung sieht das etwas anders.