Äußerst unsportlich

IMPROVISATION Beim Konzertmarathon „Just Not Cricket“ stand am Wochenende die Crème de la Crème der britischen Freejazz-Szene auf der Bühne des „HBC“, von Lol Coxhill bis Trevor Watts

Sie quietschen, brüllen und fauchen: den 15 Musikerinnen und Musikern ist bisweilen diebisches Vergnügen anzumerken, wenn sie ihren Instrumenten extreme Laute entlocken. Eskapaden und Zurückhaltung gehören dazu, Ironie und Einklang werden zelebriert, aber auch gebrochen. Dem Publikum bleibt überlassen, sich einen Reim auf die vielen Schrägheiten zu machen, die an drei Abenden bei „Just Not Cricket“ am Werke sind.

Man muss schon ein Luxemburger sein, um für die überbordende und unterhaltsame Ideenfülle britischer improvisierender Musiker einfach Geld in die Hand zu nehmen und in Berlin auszugeben. Der Filmemacher Antoine Prum startete mit der Konzertreihe im „HBC“ die Dreharbeiten zu einer Dokumentation, die die Entwicklung der freien Improvisationsmusik in Großbritannien nachzeichnet. Gemeinsam mit dem Saxofonisten Tony Bevan, Jahrgang 1956, lud Prum sowohl dessen Altersgenossen als auch Wegbereiter der Szene und aufstrebende Musiker nach Berlin ein, um insgesamt 22 Konzertbegegnungen zu verwirklichen.

Die Schlagzeuger Eddie Prévost und Mark Sanders überwanden im Trio mit dem 27-jährigen Shabaka Hutchings den Altersunterschied von 40 Jahren spielend: Mit welcher Ruhe und Behutsamkeit sie den Saxofonisten in ihrer Mitte seinen Klang entwickeln und auskleiden ließen, war beispielhaft für die Verständigung unter Musikern aus verschiedenen Welten. Während der jüngere Matthew Bourne mit der Wasserflasche das Innenleben seines Flügels bearbeitete, trank, Wasser versprühte und kein einziges Mal die Tasten berührte, erheiterte der weißhaarige Steve Beresford mit lustvoll aufgeführtem Electronik-Gefrickel. In der schwergewichtigen Trias aus zwei Kontrabässen plus Basssaxofon erreichten John Edwards, Dominic Lash und Bevan in rasender Übereinstimmung diesen wunderlichen Moment, in dem alle drei gleichzeitig verstummen. Ganz anders der gnadenlose Selbstdarsteller und Saxofonist Trevor Watts, der seinem Umfeld so gar nicht zuhörte und andere Musiker lediglich als Zuarbeiter seiner völlig deplatzierten Soli zu nutzen schien. Von diesem Unbehagen ließ sich erst bei einem Getränk am Tresen des „HBC“ wieder erholen.

Immer neu erfinden

Dass jeder Atemzug, jede Berührung und jedes Geräusch des Instruments unter allen erzeugten Klängen die gleiche Bedeutung einnimmt, entspricht Haltung und Praxis jedes Instrumentalisten, der sich in den Spielraum aus Zuhören und Reagieren, Pausen und dichten Überschneidungen begibt. Sich in jedem Konzert neu zu erfinden, gehört dazu. Lol Coxhill hat sich diese Fähigkeit bis ins hohe Alter bewahrt. Von Prévost mit sanftem Nachdruck herausgefordert, gab der fast 80-Jährige auf dem Sopransaxofon eine Lebensmelodie aus Beharrlichkeit und innerer Ruhe, ohne je die Spuren seiner Vergangenheit im Rhythm and Blues zu verleugnen.

Zu den Musikern, die diesseits des Ärmelkanals mehr Aufmerksamkeit verdienen, gehört der Vibraphonist Orphy Robinson, der Schlagwerk und lyrische Stimmung seines Instruments einzigartig verbindet. Wie er knüpften auch andere Musiker bei „Just Not Cricket“ neue Verbindungen untereinander. Bitte unbedingt mehr davon auf dem Kontinent. FRANZISKA BUHRE