Manch unerhörte Wiedergabe

Nicht alles war gelungen am gestern zu Ende gegangenen 18. Musikfest Bremen, aber auch längst nicht alles schlecht. Programmatisch könnte es etwas mehr künstlerische Konsequenz vertragen, und überprüfen sollten die Macher dringend ihre Preispolitik

Mit dem 1607 entstandenen „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, der als die erste Oper der Musikgeschichte gilt, ging gestern das 18. Musikfest Bremen zu Ende. Das Fazit ist kaum ein anderes als die Jahre zuvor: Zum Teil hörten wir im wahrsten Sinne des Wortes unerhörte Wiedergaben, die in die Interpretationsgeschichte eingehen könnten. Und damit ist wieder einmal deutlich geworden, dass man Konzertbesuche niemals nur nach Werken aussuchen sollte, sondern auch danach, wer sie spielt.

So kann zum Beispiel ein relativ gängiges Programm wie jenes des Mahler Chamber Orchestra mit einer Schumannsinfonie und dem Violinkonzert von Beethoven zu einer Sensation werden. Weil Intendant Thomas Albert eine ganz junge Geigerin kennt, Patricia Kopatchinskaja, die mit wilder Virtuosität und erregender Rhetorik geradezu ein neues Stück schuf.

Oder auch der französische Geiger Renaud Capucon, der mit seinem Ensemble in einem unbekannten französischen Programm – weshalb das Publikum hier überschaubar blieb – die Zuhörer von den Stühlen riss. Oder der Bariton Thomas Hampson, der mit dem Absolute Ensemble von Kristjan Järvi auftrat: Der ist zwar kein Unbekannter, sorgte aber mit seiner Interpretation der Lieder von Gustav Mahler ebenfalls für eine Sensation. Kaum ein Sänger dürfte es derart ergreifend schaffen, die jeweilige Emotion auch auf die Farbe der Stimme zu kriegen.

Mit Blick auf die Programmpolitik des Festes insgesamt würde man sich mehr künstlerische Konsequenz wünschen: So gehört eine Operngala hier nicht hinein, Musik von Lera Auerbach ist keine Neue Musik, die Schumann’sche Manfred-Präsentation war nicht ausgereift, und die Lesung von Armin-Müller-Stahl hatte auch kein überzeugendes Konzept.

Wunderbar aber war das „Heimspiel“ der in Bremen lehrenden Bratschistin Esther van Stralen, die in der Eröffnungsnacht drei verschiedene Programme mit einzigartiger Tongebung spielte. Die Konzerte auf dem Land – von Spiekeroog bis Emden, von Leer bis Bremerhaven, von Emden bis Verden – wurden in ihrer Qualität und Vielfalt gut angenommen: Weser-Renaissance war dabei, das Göteborg Barock-Ensemble, Katja und Marielle Labeque, Gustav Leonhardt, das Orchester des 18. Jahrhunderts, Fazil Say. Sie und viele andere der insgesamt 29 Konzerte sorgten für eine endgültige Etablierung des Musikfestes, das mit dem Eröffnungsabend eine neue Struktur ausprobierte: Da waren die Kaufhäuser geöffnet, und analog zu den 21 „Wandelkonzerten“ rund um den Marktplatz gab es 15 kleine Konzerten von Musikstudenten.

Die waren kostenlos mitzuerleben, womit ein vorerst ungelöstes Problem des Bremer Musikfestes angesprochen wäre: die ansonsten horrenden Eintrittspreise, die wirklich sehr viele Menschen bis auf weiteres vom Genuss dieser Kultur ausschließen dürften. Ute Schalz-Laurenze