Ein robustes Kartenhaus

Die Ausstellung „Neue Heimat“ in der Berlinischen Galerie versammelt 29 Künstlerpositionen zum Thema Heimat

VON HENRIKE THOMSEN

„Heimat existiert nur als Plural“, gab Ilija Trojanow der Berlinischen Galerie mit auf den Weg. Die widmet sich in ihrer jüngsten Ausstellung der Erkundung des Begriffs Heimat, und der in Bulgarien geborene, in Deutschland und Kenia aufgewachsene, später auch in Indien und Südafrika lebende Trojanow, Autor von „Der Weltensammler“, muss es wissen. In seinem Sinne hat sich die Galerie bemüht, sehr unterschiedliche persönliche Positionen von 29 Künstlern einzufangen.

Zwei extreme Positionen für den unterschiedlichen Umgang mit Heimat markieren die Arbeiten der in Beirut geborenen Mona Hatoum, einer Künstlerin mit palästinensischem Familienhintergrund, und von Michael Sailsdorfer, einem jungen Deutschen aus Niederbayern. Sailsdorfer hat einen riesigen, sich unablässig aufpumpenden und wieder zusammenfallenden Gummipanzer installiert, der entweder prall bedrohlich oder lächerlich schlaff wirkt. In jedem Fall aber führt er jedes positive heimatliche Gefühl wie Sicherheit und Stolz ad absurdum. Mona Hatoum dagegen leistet sich eine poetisch-warme Referenz: Schlichte häusliche Gegenstände wie Stühle, ein Tisch, Tischdecken und Spielzeug bewegen sich auf Fäden in unterschiedlicher Höhe fast unmerklich vor und zurück. Auch Koffer, geschnürte Bündel und ein aufblasbarer Globus sind darunter und erinnern an die reale Bedrohung durch Panzer und Bomben, die bis heute zahllosen Menschen ihr Zuhause kosten.

Die Werke von Hatoum und Sailsdorfer spiegeln unmissverständlich die unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungen, die die Künstler an das Thema Heimat herantragen. Dennoch lässt die Ausstellung „Neue Heimat“ im Gegensatz zu der Ausstellung „Heimat Kunst“ 2000 im Haus der Kulturen der Welt die unterschiedliche Nationalität der Teilnehmer in den Hintergrund treten und sieht Berlin als gemeinsame Klammer: Alle Künstler hätten in den letzten Jahren in der Stadt gearbeitet, sie selbst also sei jene „Heimat“, in der „Menschen aus aller Herren Länder“ neu zusammenfinden, so die Begründung von Museumschef Jörn Merkert. Merkert benötigt diesen konstruierten gemeinsamen Nenner freilich sicher am meisten für die Vermarktung seines Hauses, das „in Berlin entstandene Kunst von 1870 bis heute“ zeigen und die Entwicklungen von den Sezessionisten bis zur zeitgenössischen Szene beleuchten soll, aber zu dem jüngsten Boom von Künstlern und Designern aus Berlin bisher kaum beitrug.

Wie zur Strafe musste die scheidende Chefkuratorin Ursula Prinz als Dank für ihre jahrzehntelange Arbeit vom amtierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) eine Porzellanskulptur von Knut in Empfang nehmen, diesem Sinnbild des clever-forschen Berlin-Marketings. Ein wenig also verhält es sich mit dem Ausstellungskonzept wie mit dem Haus der Finnin Tea Mäkipää, das im vorderen Saal aufragt: eine schiefe, abgetakelte Konstruktion, die dennoch vitale Funktionen erfüllt, besonders für den Organismus der Berlinischen Galerie. Schützende Wände und tragender Stahl fehlen, und man blickt auf die bare Notwendigkeit, auf recycelte Wasser- und Stromleitungen, Abflussrohre, Toiletten und Waschbecken. Dieser fast schon obszöne Anblick der puren organischen und sozialen Überlebensstrukturen macht Mäkipääs Arbeit als Kunstwerk interessant.

Es gibt einige weitere lohnende Arbeiten. Via Lewandowsky hat das sprichwörtliche Kartenhaus geschaffen, jedoch so mächtig und aus robusten Wänden aufgeschichtet, dass die Skulptur die herkömmlichen Assoziationen des Bildes unterläuft. Wo bleibt in unseren pragmatischen Zeiten der Fertighäuser und Baumärkte noch Raum für das Flüchtige und Zerbrechliche, scheint sie zu fragen. Oder wird angesichts der Immobilienkrisen gerade die scheinbare Sicherheit des Eigenheims zum Agenten neuer Abschiede und Verluste? Die Fotopanoramen von Erla Haráldsdottir und Bo Melin von verlassenen, verfallenden Straßenzügen sind wie die unheimlichen Kehrseiten der Hochglanzbroschüren von Maklern und Banken. Auch Nina Fischer und Maroan El Sani, die derzeit auch auf der Istanbul Biennale vertreten sind (siehe taz vom 11. 9.), stellen die Großstadtchiffre in den Mittelpunkt. Ein junger Mann im Anzug läuft Treppe um Treppe eines Hochhauses empor, nur um am Ende auf das Bild eines Zwillings im gegenüberliegenden anonymen Büroturm zu treffen. Die Hoffnung, die komplexe urbane Welt zu meistern, endet in Selbstentfremdung und heimlichem Stillstand im hektischen Treiben.

Die schönsten und geheimnisvollsten Arbeiten aber stammen von Jorinde Voigt. In den feinen Zeichnungen mit nichts als Zahlen und prosaischen Notizen („2 küssen sich“) entstehen dynamische Labyrinthe, hochkomplexe Systeme scheinbar voller Chaos und doch von unfassbarer Ordnung. Es sind Modelle unfassbarer Realitäten, die sich hinter scheinbar alltäglichen Erfahrungen wie der Tagestemperatur, ein paar Takten Musik oder einem Kuss verbergen. Vielleicht ist dies die radikalste Aussage zum Begriff von Heimat im Sinne von Ilija Trojanow: Selbst der banalste Moment, den man für selbstverständlich gegeben und vertraut halten möchte, entpuppt sich als ein Schwarm von Myriaden von Möglichkeiten, der nur in der Dynamik stabil ist.

Bis 7. 1. in der Berlinischen Galerie, täglich, außer Dienstag, 10–18 Uhr, Katalog 19,80 €